Liebe in groben Zügen
diese Reise, über tausend Kilometer durch Italien, was wollen wir beide hier. Was wollen wir überhaupt noch? Keine Frage für Anfänger, und Renz leerte sein Glas, Wein lief ihm über die Uhr. Der mit dem Bart, doch der Wirt, stellte ihm ein neues randvolles Glas hin, sie fragte nach Essen. Da mangiare, wiederholte er, zu ihr gebeugt, und zählte die paar Dinge auf, die es gab, als hätte er keinen Markt vor der Tür, und sie bestellte Sardinen, Käse und Brot, eingelegte Tomaten und Zwiebeln. Renz griff nach dem Glas. Ich denke nur, dass du gehen solltest, wenn es einen anderen gibt.
Ich? Sie zog an der Zigarette, alte Geste, die leichtsinnig machte. Warum nicht du? Geh aus meinem Leben.
Aus deinem Leben, welchem? Renz versuchte, leise zu reden, seine Wangen und die Haut am Hals in Unruhe. Es gibt nicht dein Leben, es gibt auch nicht mein Leben. Das Leben gehört uns nicht. Etwas, das ich bei Marlies gelernt habe.
Bei Marlies, warum gehst du dann wieder nicht zu ihr? Vila hob ihr Glas. Auf das Leben, das keinem gehört!
Der Alte mit dem langen Schal trat vor die Tische, er begann zu tanzen, als würde ihn jemand führen, und der Sänger präsentierte ihn zwischen zwei Liedern wie eine Stripperin, Nicolò Cali! Nach dem Namen noch ein paar Worte zu den Fremden im Raum, ein Dialekt, den Vila kaum verstand, sie verstand nur, dass der Tänzer fünfundachtzig war, biblisch alt und dennoch jung an Wünschen. Cali drehte sich mit wehendem Schal um seine Achse, von den Tischen Beifall und Getrampel, dann schon das nächste Lied, und jeder Lärm hörte auf. Der Sänger wandte sich jetzt den Tischen zu, er kannte den Text, ein Lied, das gleich alles heraufzubeschwören schien, was den Männern heilig war und sie dabei in Schrecken versetzte; erst nach zwei Strophen der dunkel getönte Refrain, Femmena, jede Silbe ausgesungen, und der hagere Nachbar sang mit, die Augen geschlossen, mehr ein Mitgemurmel als Singen, bis zum letzten, bitteren Wort, Malafemmena. Vila löschte die Zigarette, der Rest qualmte noch, Renz drückte ihn aus. Hat Bühl dir schon vorher geschrieben, ist das eine kleine private Serie, Franz und Klara? Was passiert in Folge eins?
Er hat vorher nie etwas aus dem Buch gemailt.
Und warum jetzt gerade das?
Ich weiß es nicht – Vila wollte aufstehen, auf die Toilette gehen, den wie aus dem Wein und der Zigarette gemachten Wörterstrom unterbrechen, aber Renz hatte die Hand auf ihrer Schulter. Denk nach, sagte er, und sie sah zu dem Alten: der sein Alleintanzen leid war. Er wählte sich einen Partner, umwarb ihn erst und nahm dann seine Hand und machte aus ihm eine Tänzerin, unter Tischeklopfen der Männer im Takt der Musik, jetzt ein Evergreen für einfache Gemüter, Una lacrima sul viso. Alle steckten sie hier, hinter dem Rücken der Frauen, unter einer Decke der Sehnsucht. Und immer noch Renz’ Hand auf ihrer Schulter; sie hob sie an und legte sie wie einen Gegenstand auf den Tisch. Ich habe nachgedacht: Weil wir auch ein altes Paar sind. Und damit ich es dir vorlese.
Hat er das dazu geschrieben, ja. Lies es ihm bitte vor, Vila, aber langsam. Das hat er nicht. Und er hat es auch nicht an uns beide geschickt, nur an dich! Renz drückte noch einmal an dem Zigarettenrest herum, als der Wirt das Essen brachte; auf den gebratenen Sardinen grobes Salz, die eingelegten Tomaten schon auf Brotscheiben verteilt, dazu Öl in einer Dose und ein Teller mit den Zwiebeln. Vila stellte alles in eine Ordnung, für sich und für Renz, und sie aßen, während der Sänger mit Mausklicks ein Verzeichnis durchging, bis er mit einem Lied anhob, das ihr noch mehr zusetzte als der Wein, Vivrò per lei. Und nun stand sie doch auf, ließ alles stehen und liegen, Dass mir noch was übrig bleibt, rief sie, schon auf dem Weg zum Tresen; der Wirt zeigte die Richtung zu den Toiletten, eine halbe Treppe hinunter. Und kaum hatte sie hinter sich abgesperrt, schaltete sie ihr Telefon ein, alles Weitere eine Sache von Sekunden, in keinem anderen Bereich lag Italien so vorn. Aber von Bühl keine Nachricht, dafür von Katrin, Katrin mit erregter Stimme, eine Seltenheit, die dringende Bitte um Rückruf: Es ist etwas passiert, nicht mit mir, aber dem, der zu dem Fest mit der Barkasse kam. Wo seid ihr überhaupt? Eine schon besorgte Frage, noch eine Seltenheit, und sie legte sich für Renz einen Satz zurecht, lass uns Katrin anrufen, ihr sagen, wie toll es hier ist, ein Stamm wilder Männer, die bei Gesang zahm werden. Sie wusch sich die
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