Liebe in groben Zügen
ihr, hatte jetzt seine Stimme gehört – entfernt sicher noch die Stimme des Jungen vom Ossiacher See, für sie zu weit entfernt. Ihre Erinnerung an ihn, verschwindend, weniger als die Reste, die sich beim Auflösen seiner Wohnung gefunden hatten, unter dem Bett etwa Haare der Kollegin Kressnitz, Kunst und Geschichte, Leiterin der Theater-AG, seine einzige Affäre am Hölderlin, fast eine Liebe, aber die Kressnitz wollte keine Verhältnisse, wie in den Stücken, die sie einübte; am Ende ließ sie sich versetzen, und er ließ die Wohnung verkommen. Auf den Rohren nach und nach Gebilde an der Grenze zum Leben, auf dem Boden Staub wie Asche, darin ein Weg vom Bett zum Bad, der Kressnitzweg, so blieb sie erhalten, mit einem Namen wie die Quergässchen im Ort, die Vicolo Trinità oder Via Nascembeni, wahrscheinlich die lächerlich kleinste Straße Italiens, aber vor dem Vergessen bewahrt.
Er trat in Vilas Bademantel auf die Terrasse. Seit er allein war, trug er abends nichts anderes als dieses Stück von Le Coultre, weich wie ein Pelztier; seine letzte Nacht in Torri, der See in Bewegung, herausgepresst aus dem fjordartigen Nordteil – doch ein Wind und die Geräusche der Bananenblätter wie schlurfende Schritte. Ein Flugzeug kreuzte den Himmel in großer Höhe, es sah aus, als würde es mit einem Stern kollidieren. Er ging ins Haus zurück, zu seiner Arbeit, seinem Halt. Franz hatte das Alleinsein über Wochen ertragen, dazu Kälte und Hunger, so eins mit den Entbehrungen wie die Hirten in der Not mit ihren Ziegen. Und trotzdem von ihm der verbürgte Satz, seinen Mitbrüdern, als er schon abgezehrt war, drohend entgegengehalten: Ich kann immer noch ein Kind machen! Der Kressnitz hätte er ein Kind machen sollen. Oder gleich der Frau, die keine Erinnerung mehr an ihn hatte. Noch nie war sein Samen aufgegangen, nur zerronnen, zerstäubt. Er legte sich in Vilas Mantel aufs Sofa; von den Bananen noch immer das Schleifen, und in ihm ein Reisefieber, das im Grunde sein Heimweh war.
KATRIN – je länger Renz mit Marlies unterwegs war, letztlich nur ein paar Tage, desto öfter quälte ihn der Name seiner Tochter, er musste ein Katrin vor sich hin flüstern, er musste es im Gespräch gebrauchen: für den Moment eine Entlastung, dann das Gegenteil. Renz konnte kaum schlafen und essen. Wenn es ernst wird, spricht der Körper, der Rest stimmt nur ein, auch sein Credo bei den Vorabenddramen; immer wieder hatte er Nebenfiguren mit Migräne, Herpes oder nervösem Tic kreiert, denn der Körper lügt nicht, das wusste Renz, und als er nach dem Anruf seines Mieters selbst noch einmal zum Telefon griff, während Marlies zur Wand gedreht schlief, war der Schweiß, der ihm beim Antippen von Vilas Nummer auf die Stirn trat, ein einziger kalter Wahrheitsausbruch.
Renz stand am offenen Fenster, vis-à-vis die Basilika, aber es war ein Gesicht, das er vor sich hatte, wie ein zweites eigenes: der Mund mit feinen Spalten in Ober- und Unterlippe und zwischen den Brauen zwei Fältchen, kleine, aparte Zerrung von zu viel Willen, zu viel Dulden; Vilas schöne, solide Nase, die soliden Augen, Rahmen um etwas Maßloses in ihr. Ich vermisse dich, sein erstes Wort. Dann fragte er nach Katrin, und Vila machte ihrer Enttäuschung Luft, weil Katrin sie hatte anreisen lassen, von Verona bis Orlando, vierzehn Stunden, aber selbst schon abgereist war, ohne Nachricht. Eine Frechheit oder Katastrophe, rief sie, und nach einer Pause die Mitteilung, es gebe nichts Neues, nur die Hoffnung, Katrin zu finden, auch wenn Havanna ein einziges Chaos sei, laut und schwül. Ganz nebenbei erfuhr er, wo sie war, und konnte es kaum glauben, Havanna? Wie willst du Katrin dort finden, die Zeit läuft davon! Renz schrie fast, und Vila erzählte von ihrem deutschen Scout (ohne sein Trinken zu erwähnen), Ein guter Mann, sagte sie. Man muss nur seinem Kulturinstitut Geld spenden und dazu noch einen Leibwächter oder Gehilfen bezahlen, einen jungen Afghanistan-Veteranen.
Wieso Afghanistan? Renz rieb sich Schweiß aus den Augen, er kam sich fast klein vor, mit einer kranken Geliebten in Assisi, während Vila in der letzten Bastion einer blutgetränkten Romantik ihrem Enkel das künftige Leben zu retten versuchte. Ein Deutscher, der dort ein Bein verloren hat, jetzt in Kuba von einer Rente lebt. Und du?, rief sie, als sei er auch Veteran, nur nicht jung, und er sprach von der geplanten Serie rund um den See, dem Arzt mit Riva-Boot, verliebt in eine Studentin aus München, die
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