Liebe in groben Zügen
in der Vorsteherin eines kleinen Klosters ihre leibliche Mutter findet – die Klosterbilder legen wir nach San Vigilio, sagte er. Und Bühls Heiliger bekommt auch eine Rolle, in einem Alptraum der Vorsteherin, als ihr Fehltritt bekannt wird! Renz sprach weit aus dem Fenster gebeugt, er erwähnte die Absicht des Mieters, durch Umbrien zu wandern, und die Einigung in der Geldfrage: das alles für ein absurdes Buchprojekt! Und Vila: Warum absurd, wer sich mit Franz von Assisi befasst, muss in diese Gegend. Und wo bist du? Sie zog Luft durch die Nase, das konnte er hören, und seine Antwort: Florenz. Dann wieder der Sprung nach Havanna, dieser Deutsche mit dem Institut, mehr Spinner oder Abenteurer? Und am anderen Ende das scharfe Einatmen, wenn Vila nicht mehr wollte – weder noch, er ist ein Fürst ohne Hof, so wie du! Ihr letztes Wort. Kein Gutenacht, kein Trost, aber auch kein Nachhaken: seit wann die kleine Arbeitsreise, ob allein oder zu zweit, noch über Florenz führt.
Renz’ erste Frau im Leben, seine Mutter – früher Dokumentarfilmerin mit nicht mehr aufräumbarer Wohnung im guten alten West-Berlin, kettenrauchend, eitel, fett, eine sich selbst vernichtende Ex-Schönheit –, hatte in ihm das Barockhafte gesät, den Fürsten ohne Hof, nur milde belächelt von ihrem Mann, seinem Vater, einem belesenen Allgemeinarzt mit melancholischem Schnurrbärtchen und dem belgischen Gegenstand, wie er den bei Kriegsende an sich gebrachten Revolver nannte. Und Renz’ erste Frau im Bett, Bühnenbildnerin am gewesenen Schiller-Theater, hatte ihm eingehaucht, er sei der geborene Künstler, ein Naturtalent, also fing er an zu malen, mit ihr als Modell, besessen von der eigenen Weiblichkeit, deren sichtbarstem Beweis. Ihr Geschlecht füllte bald ganze Leinwände, farbgetreu und haargenau, ein Resultat, das seinen Schöpfer selbst um den Verstand brachte: Renz bewarb sich an Kunstakademien, und an der Frankfurter Städelschule machte man ihm mit seinen seriellen Vulvas sogar Hoffnung, nur war die Auswahlkommission leider zur Hälfte mit Frauen besetzt – Fotzen, die keine Fotzen sehen wollten, sein Rachesatz für Jahre. Auf jeden Fall war Schluss mit Malen, auch Schluss mit der Bühnenbildnerin; es zog ihn nach Frankfurt, den Ort seiner Zurückweisung. Renz wollte es den Frauen dort zeigen, wusste aber nicht, wie, ja nicht einmal, was er ihnen zeigen wollte, und in seiner Ratlosigkeit ging er täglich ins Kino und begann Filmkritiken zu schreiben und wurde der Kinomann vom Pflasterstrand, wie die Stadtzeitung damals hieß, ein gutes Leben, das sich mit Vila noch verbesserte: Vila, hinreißend jung, das Haar bei jedem Luftzug im Gesicht, und dabei auch hinreißend reif, schon mit den Fältchen über der Nase. Beide hatten ein Zimmer, aber in der ersten Zeit taten sie es lieber im Kino, in den leeren Nachmittagsvorstellungen des verschwundenen Olympia, in der Raucherloge des vergessenen Gloria, auf dem Balkon der Harmonie, beide unter einem großen Mantel, er der Fürst ohne Hof, das dunkle Kino sein Schloss, der Mantel ein Baldachin, darunter das nackte Fleisch. Und auf der Leinwand das Leben.
Noch immer war Renz am offenen Fenster, während seine Begleiterin und neue Geliebte hinter ihm schlief und sich an falscher Stelle ihre Zellen teilten – wo war all das Irre zwischen Vila und ihm geblieben? Fürst, sei kein Frosch, sagte sie manchmal, gehen wir ins Kino! Und wo war das Irre der Stadt, in der sie sich geliebt hatten, Fragen, die selbst etwas Wucherndes hatten, immer neue Fragen hervorbrachten. Wo war der Pflasterstrand, wo das Olympia, das Gloria, wo das Theater am Turm mit seinen Leuten? Die Stadt sagte irgendwann: Wir brauchen dort etwas anderes, ein Kino-Center, aber gemeint hat sie: Was dort geboten wird, ist Unfug. Und dazu lebensgefährlich. Fast alle am Turmtheater hatten Aids, alle auch elend verreckt, er hat jeden gekannt, jeden gemocht. Also die Schwulen weg und das Metropolis hin, dachte die Stadt oder wer auch immer. Zwölf Kinos, für die es keinen einzigen Filmkritiker seiner Sorte brauchte. Da brauchte es bloß Popcorn aus Eimern und Taschentücher, aber die nur für Nase und Augen. Renz holte einen Brunello aus seinem Gepäck, er zog den Korken und trank aus dem Zahnputzglas. Seit er Dinge schrieb, die idiotisch waren – nicht einmal witzig, einfach nur idiotisch –, trank er Rotwein vor dem Schlafen. In den letzten fünfzehn Jahren kaum eine verdammte Nacht ohne verdammt guten Wein. Und wenn Vila
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