Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
Vom Netzwerk:
nicht besetzt hielt, sein schon mehr der Erschöpfung als dem Leben zugewandter Teil. Bring mich ins Hotel, sagte Marlies, als würde sie den Weg nicht mehr finden. Und im Zimmer dann gleich das Ablegen aller Kleidung, Mantel, Schuhe, Pullover, die Leggins, den Slip. Komm, sagte sie, aber mit Liebe, geht das? Eine Frage bei gekreuzten Händen über der Brust, halb im Spaß, halb im Ernst, bevor sie sich hinlegte, ganz ernst auf den Bauch, das Gesicht in der Armbeuge. Und er streichelte ihr Haar und die Schulterblätter, ihre Mädchenhüften und die Beine; er küsste ihre Kniekehlen, das Kreuz und den Nacken, die freiliegende, schon wieder blasse Wange und das geschlossene japanische Lid.
    Renz schwankte zwischen Nehmen und Geben, zwischendurch sah er zum Fenster, der Himmel rötlich blau, es ging auf den Abend zu, und er konnte nicht, wie er wollte; am Ende ein beschämendes Herumziehen an sich, bis Marlies die Hand darauf legte. Es muss jetzt nicht sein, willst du schlafen? Sie streichelte ihn, und er sah dabei zu, den schmalen Fingern, die fast etwas Kindliches hatten, mit seinem Bauch, seiner Brust, seinen Armen spielten. Und weiß Vila, dass wir hier sind? Sie gebrauchte den Namen zum ersten Mal und gleich so, als sei sie mit Vila befreundet, Renz schloss die Augen, was ja hieß, ja, sie weiß es, ohne es zu wissen, auf ihre vilasche Art. Und weiß sie auch, wie sie damit zurechtkommen soll, oder ist es ihr egal? Marlies blies ihm ins Gesicht, bis er die Augen öffnete, sie schob seine Hand in ihren Schoß und kreuzte die Beine, ein Spiel, das keins war. Was hast du, was ist mit dir, fragte er, und sie griff nach den Zigaretten, er nahm ihr das Feuerzeug weg, Hör damit endlich auf!
    Und von ihr ein Nein, einmal, zweimal, dann zog sie ihm das Feuerzeug aus der Hand und sprach von einer Krankheit, festgestellt schon vor einem Jahr bei einem Routinecheck, weil sie die Versicherung wechseln wollte. Sie suchte jetzt seine Brust, mit der Stirn, mit dem Mund, und sprach von Knoten und Blutbildern, von Diagnosen und Prognosen und Therapien, die nur Trost seien, und er versuchte, allein auf die Stimme zu hören, nicht auf die Worte, ihre sommerhaft lebendige Stimme, in der alles Ungute aufgelöst war. Du bist der Letzte, der mich festhält, sagte Marlies, ein Du in des kleinen Wortes ganzer Kraft, und Renz umarmte sie, eine Klammer um ihre Klammer, und wollte mit ihr schlafen, auf die einzige Art, die ihm möglich war im Moment, weil sie etwas Magisches hatte: Er glaubte, sich mit dem Lebendigen ihrer Stimme verbinden zu können, und suchte ihren Mund, das erste Mal, dass er danach drängte, sie darum bat, nur mit zwei Worten, ihren eigenen, Geht das? Und sie sagte einfach ja, ein kurzes, beinahe heiteres Ja, um es ihm leichtzumachen, so wahnsinnig leicht, dass es am Ende in seinen Augen brannte, wie in den Augen alter Männer, wenn ihnen noch einmal etwas gelingt, ein Tänzchen, das Radfahren, ein Ballwurf – Liebende müssen nicht üben, sie können schon alles, sie müssen auch nicht recherchieren, sie wissen genug.
    Das Fenster stand noch auf, außen seitlich der letzte Buchstabe des Hotelnamens, das O von Francesco, die Leuchtröhre darin war angesprungen, weißlich flackernd, Renz sah es vom Bett aus, samt einem Falter, der sich gegen das Helle warf: immer wieder der Anprall der kleinen Masse unter seidigen Flügeln, bis er kraftlos ins Dunkel fiel und sich alles, was Marlies gesagt hatte, zu einem einzigen Bild klumpte, er an ihrem finalen Bett, hilflos, nicht einmal imstande, ihr die Hand zu halten, wie sie ihm die Hand hielt. Renz traute sich kaum, ihr Haar zu streicheln, an sich herunterzusehen: Was da geschah, war nicht mehr erzählbar. Es zählte nur, wie bei einem Rennen die Sekunden, bei einem Sprung die Zentimeter, in einem Leben die Momente zählen. Und in den Sekunden, die einen sonst alles vergessen lassen, die Dinge davor, die Dinge danach, schien ihm plötzlich der Schädel zu platzen, ein Schmerz, wie er ihn auch schon mit Vila erlebt hatte, im einzigen Dachzimmer des Hotels, eine Stunde in letzter Septemberwärme, auf dem Balkon das Geräusch welker Blätter, hin und her geschoben von drückender Luft, das alles nach dem Erdbeben, dem sie nicht entflohen waren wie andere, im Gegenteil, das sie zusammengepresst hatte: zur Festung Vila und Renz in dem frei gewordenen Zimmer. Und zwei Tage nach Kaspers Tod, als doch noch Gestein auf sie eingestürzt war, auf einmal Vilas Hand, ihr Verzeihen, obwohl er

Weitere Kostenlose Bücher