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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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nie die Leine hätte lösen dürfen in einer Stadt voller Katzen – sofort Kaspers Losstürmen über den weiten Platz, der Lieferwagen bremst noch, aber die Reifen walzen den Hinterleib, drücken ihn entzwei, das Gedärm in der Sonne blitzend. Renz hielt sich den Kopf, er riss den Mund auf vor Schmerz, es gab dafür keine Erklärung, kein passendes Wort, nicht einmal ein medizinisches. Das passiert, wenn es zu viel wird, sagte Marlies und streichelte ihn, wie er Vila in den Tagen nach Kaspers Tod gestreichelt hatte, immer wieder über Stirn und Schläfen.
    Alte Paare sind auch Festungen, weh dem, der sie stürmen will; Marlies wollte es nicht, sie wollte nur den Abend retten. Und Renz war ihr dankbar, sein Schmerz ließ nach, wie der in Vila nachgelassen hatte, Kaspers Schreie, sein entsetzliches Heulen, nachdem ihn der Lieferwagen auf dem Platz vor der Basilika überrollt hatte und das Innere aus dem geplatzten Leib quoll, ein Kind mit Fell, über das Vila sich warf, als sei noch irgendetwas zu retten, während er auf die Knie fiel, wie schon so viele vor ihm an diesem Ort, ein Gebet auf den Lippen, das erste als Erwachsener, Gott, lass das nicht wahr sein, hilf! Kasper aber wälzte sich weiter, schreiend wie ein Mensch, und auch Vila schrie jetzt, Pilger aus aller Welt, die in den Kreuzgängen an den Seiten des Platzes geruht hatten, umringten die drei, den Mann auf Knien, den Hund in seinem Blut und die schreiende Frau; einige beteten laut, andere glaubten an neue Erdstöße und riefen Warnungen über den Platz, bis die Carabinieri kamen, den Andrang auflösten und einer mit Säbel und Schirmmütze Vila unter die Arme griff, sie von der Kreatur auf dem Pflaster wegzog und ein anderer Kasper mit seiner Pistole erschoss, das war die Hilfe von oben. Sie hatten ihn fast zwölf Jahre, Katrin konnte gerade laufen, als er in die Wohnung kam, ein weiches Knäuel, noch namenlos, und als Katrin sprechen konnte, da sprang Kasper schon an der Wohnungstür hoch, wenn Vila die Treppe heraufkam. Er kannte ihre Schritte und stieß Freudenlaute aus, sie war seine Nummer eins, nur wenn Vila einen ihrer Mitternachts-Kandidaten traf, rückte er, Renz, als Herrchen auf, dann war Kasper sein Hund, sein Tier, sein Kleiner: der Sohn, den sie beide versäumt hatten auf die Welt kommen zu lassen, weil sie mit anderem beschäftigt waren, Vila mit Katrin, er mit einer Schauspielerin. Der Carabiniere hatte auf den Kopf gezielt, aber nicht gut getroffen, Kasper lebte noch etwas, er schrie nicht mehr, er starrte Vila nur an, tief enttäuscht, wie es schien, dann ein Erbeben, das stille Aus, und Vila schlug nach dem, der nicht aufgepasst hatte, noch die Leine in der Hand hielt. Sie weinte und schlug um sich, während Kasper hinter ihrem Rücken in einem Müllsack verschwand. Eine der Pilgerinnen, klein, dunkelhäutig, Asiatin, ergriff dann Vilas Arme, und ihr Aufruhr fiel in sich zusammen. Und er, ihr Mann, brachte sie zum Hotel, drei Tage verließ sie das Zimmer nicht. Sie lag auf dem Bett und sah mit roten Augen zur Decke, in der Hand eine Flasche Wasser. Und am Abend von Tag zwei brachte er ihr Brot und Käse, schwarze Oliven und den herben Weißen der Gegend. Erst wollte sie nichts, und dann ließ sie sich füttern und trank den Wein, Glas um Glas. Sie tranken beide, und in der Nacht umarmten sie sich. Ein wortloses, fast erbittertes Tun, ein Ringen um sein erlösendes Ende, gleichgültig wie, und während der erkämpften Sekunden die Schmerzattacke, wie ein Schädelbersten, ich sterbe, rief er, den Kopf zwischen den Fäusten, aber er starb nicht, er schlief nur ein. Beide schliefen sie bis zum Nachmittag, gegen Abend reisten sie ab; sie fuhren die ganze Nacht, und Katrin in Los Gatos, Kalifornien, hörte am Telefon nur von mildernden Umständen, ihr aller Kasper sei an einem Schock gestorben, bei dem Erdbeben in Assisi, sie selbst seien mit dem Schrecken davongekommen.
    Die Leuchtschrift am Hotel ging schon um elf Uhr abends aus, Assisi war keine Nachtstadt, und einen Augenblick lang glaubte Renz, von dem fehlenden Leuchten des O neben dem Fenster geweckt worden zu sein; in Wahrheit hatte ihn ein Geräusch aus dem Halbschlaf geholt, sein summendes Telefon in einer neuen Jeans aus Lucca, anprobiert unter Marlies’ ironischem Beifall, einem angedeuteten Händeklatschen. Er zog das Telefon aus der Tasche und sah die Nummer vom Haus auf dem kleinen Schirm. Der Mieter hatte ein Problem, das nicht warten konnte, verlorene Schlüssel oder

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