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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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junge, fremd oder nahestehend. Liebs Mündle :seine alemannische Kinderfrau, die Hug Tulla, wenn sie von ihm sprach. Tulla Maria Hug, damals über vierzig und noch ehelos, eine Eigensinnige mit reicher Sprache, erprobt in einem Süßigkeitenladen, Confiserie Rombach, wo sie als Verkäuferin aushalf und der Kundschaft auch die feinsten Nuancen aller nicht zum Probieren bestimmten Pralinen oder Prallinees , wie sie sagte, nur mit Worten schmackhaft machte; und ihre Gebrauchspoesie aus der Welt des Süßen wandte sie auf sein Gesicht und speziell den Mund an. Dazu sprach sie noch vom Küssen, das sie aus den Zartenbacher Dreisam-Lichtspielen kannte, und gab ihm ein Ranking mit auf den Weg. Ganz unten der Judaskuss, dann der versäumte Kuss, der Abschiedskuss und der berühmte erste und als Gipfel der Kuss der Küsse, so nannte sie ihn, und das mit verdrehten Augen und nie in Gegenwart der Eltern ihres Mündles, wie er für Tulla auch summarisch hieß – ihr Mündle oder Liebskerle, für das sie da war, wenn die Mutter in Kultur machte und der Vater für die Vorhangseide durch das ferne Bangkok zog; ihm war beim Mund des Sohns nur das Wort Mädelgosch eingefallen, auch ein Wort, mit dem er leben musste. Alte Wörter: Teil seiner inneren Kapsel, die nur ihn etwas anging, also hatte er noch keiner Frau davon erzählt. Und auch beim Erkunden der Hotelumgebung kein Wort über sich, er war nur neben Vila hergelaufen, rund um einen kleinen Park mit staubigen Palmen, eine Art verwahrlostem Nest inmitten der Stadt, dem Parque Central, und dann mit ihr vor einem Straßencafé stehen geblieben. Das Francesa, sagte sie, Außenposten des Instituto Fichte. Spiegelhalter sitzt jeden Abend am selben Tisch, und überhaupt hängen dort die Deutschen herum, mit normaleren Namen als er und nur einer Philosophie, Sex mit kleinen Kubanerinnen. Und dein Bart, der kam wirklich erst heute Morgen ab? Eine Frage mit Blick auf seinen Mund, da waren sie schon wieder vor dem Hotel, und von ihm eine ganz andere Antwort, als sie die kathedralenhafte Lobby betraten: Spiegelhalter sei kein so seltener Name in der Gegend, aus der er komme. Und Sex gar keine Philosophie. Weil die nicht platzen darf nach dem letzten Seufzer. Und von ihrer Seite dazu nichts, sie blieb bei Spiegelhalter: der für eine Spende sonst wen in sein Institut aufnehmen würde. Hier gehören schon lauter Tätowierte mit Ring im Ohr und grauem Zopf zum sogenannten Fichte-Colloquium. Und nun solltest du schlafen, Bühl, oder was willst du? Worte, die ihm auch noch im Ohr waren, oder was willst du?, als könnte man das so mühelos sagen, schon gar nicht, als sie dann eine Fahrstuhlkabine für sich hatten, sie zum fünften Stock, er zum achten, ein kriechender Fahrstuhl, die Kabine aus dunklem Holz, an ihrer Decke eine Leuchtröhre, beide mit Blick zu einer der Seitenwände, in der Mitte die Speisekarte vom Dachrestaurant. Da gibt es sogar Schnitzel und Weißbier, hatte er schließlich gesagt, als der Fahrstuhl hielt, die Tür aufging und Vila sich das Haar hinter die Ohren strich, wie ein Reflex aus ihren Mitternachtstipps.
    Er sollte also schlafen, wie er schon als Kind mittags einen Schlaf halten sollte, am Bettrand seine Mutter, aber gerade die Müdigkeit, das Brennen in den Augen, hielt ihn wach. In einer Art Alarmzustand lag er auf dem Bett, in der Hand eine Fernbedienung, über sich den Ventilator, der die Luft umrührte, während neben der Tür zum Bad der Zimmerfernseher lief, das Bild wie aus den Frühtagen dieser Erfindung. Die Programme schienen alle aus denselben Gesichtern, derselben Musik gemacht, dazwischen alte US-Serien, noch in Schwarzweiß, und auf einmal Castro, auch eine Konserve. Castro vor einer riesigen Versammlung, Tausenden von Leuten, die etwas mit Erziehung zu tun hatten, immer wieder das Wort educación. Bis es vor dem Fenster dunkel wurde, sah er sich die Rede an, selbst Gedankenpausen hatten es in sich, Castros zerstreute Mimik, bevor er mit Anlauf zu einer Zwischenerkenntnis kam, die der ganze Saal sofort mit Beifall und verständigem Lachen belohnte, wie ein selbstverliebtes Jazzpublikum. Ein zerzauster Greis im Kampfanzug mit Pistole am Koppel hielt da eine mal versonnene, mal strenge Predigt für Freund und Feind – und krönte sie mit einem Gedicht von dem Mann, dessen Neffe Vilas schwangere Tochter für eine Abtreibung nach Havanna gelotst hatte, wenn er die Zusammenhänge richtig verstand und sein gutes altes Latein genug Verwandtschaft mit dem

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