Liebe in groben Zügen
fremde, aber schon gewollte Körper: dass es ihn gibt, reicht aus, um nach seinen Details zu verlangen; er muss nur da sein, wie jene Weckeruhren oder Stofftiere, die ein Kind erst bestaunt und später zerlegt, um vielleicht den Ursprung der Zeit oder Schönheit zu finden.
Vila lief mit Bühl über die Uferstraße, Hand in Hand, und unter dem Mantelzelt, an seinen Arm gepresst, ging es an der Kaimauer entlang weiter. Vila, berauscht im einen Moment und im nächsten nüchtern, erschrocken: Sie war hier, um Katrin zu finden, Katrin noch mit Kind im Bauch, es gab keinen anderen Grund oder sollte keinen anderen geben – einen anderen Arm, an den sie sich presste, ja, aber keinen anderen Grund. Sie war hier, um die alte, eigene Geschichte von dem Kind, das sie noch hätte haben können, aber nicht wollte, ihrem ungeborenen Sohn, wiedergutzumachen, absurd, aber die Wahrheit. Weißt du noch, warum wir hier sind, was wir wollen, Bühl? Sie strich ihm das Haar aus der Stirn, eine Art Probe, kann ich das noch, und er fragte nach dem ersten Freund von Katrin, warum ihr Mann den gehasst habe. Hazim? Vila blieb stehen. Der war wie aus einem französischen Film noir mit Lino Ventura als Kommissar, der junge Mann, den alle für den Täter halten, weil er nur stumm in der Ecke sitzt und mit einem Zahnstocher spielt. Angeblich war Hazim auf einer Kunsthochschule, mit neunzehn: genau das Richtige für Renz. Ein nervöser Schweiger, immer eine kleine Kamera in der Hand, und auf einmal ein Nietzsche-Zitat, nach langem Garnichtssagen abgefeuert. Seine Mutter war Deutsche, aber lebte in Paris, der Vater kam aus Tanger, Hazim war dreisprachig, das hat Katrin umgehauen. Eines Morgens lag er in ihrem Bett und blieb dort den ganzen Tag. Abends gingen die beiden dann aus, und Renz fragte Katrin, wann er sie wiedersehen würde, und Hazim sagte lächelnd Nie wieder. Von da an hat er den Jungen gehasst, nur sich nichts anmerken lassen, und eines Nachts brach alles heraus. Wir saßen mit Freunden auf der Terrasse, Katrin und Hazim waren im Ort, und Renz stellte sich eine Notlage vor, wir alle bei Sturm auf dem Boot, auch Monsieur der Künstler, wie er ihn nannte. Er stellte sich vor, ihn ertrinken zu lassen, weil es nicht genug Schwimmwesten gab. Wenn es hieße, er oder ich, dann eben nur ich. Monsieur der Künstler fickt unsere Tochter, soll er doch absaufen! Renz war noch ganz aufgebracht von einem Bootstag mit Hazim und Katrin, nur er und die beiden auf dem See, er hat versucht, mit Hazim ins Gespräch zu kommen, über Jeff Koons, obwohl der für Renz ein rotes Tuch war, und dieser Junge brachte es fertig, über einen Mann zu sinnieren, der Vorabendserien schreibt, aber weiß, wer Jeff Koons ist. Renz bekam Herzprobleme, zum ersten Mal, Katrin musste das Steuer nehmen. Und nach dem Sommer trennte sie sich, von einem Tag zum anderen. Ihr Nächster hieß Bernd und war Reisefreak und brachte sie auf Ethnologie. Wollen wir ins Hotel, willst du schlafen?
Ein Brecher traf die Kaimauer und schoss als umgekehrter Wasserfall über die Kante. Schlafen, wieso, rief Bühl, wie begossen von dem Schwall, mit nassen Haaren, nasser Kleidung. Weil du ab morgen mit der neuen Kamera üben musst, die ich am Flughafen gekauft habe, du bist mein Kameramann, wenn ich mit dem Nobelpreisanwärter rede, geht das? Sie drückte ihm eine Faust an die Brust, er nahm ihr Gesicht in die Hände, sein Ja, und damit liefen sie weiter an der Kaimauer entlang, nun ohne Manteldach. Kurz vor dem Leuchtturm überquerten sie noch einmal den Malecón und kamen in eine breite, leicht ansteigende Querstraße, zu beiden Seiten der geteilten Fahrbahn bröselnde alte Villen, in der Mitte eine Promenade zwischen großen Platanen. Sie gingen jetzt langsamer, fast ein Schlendern in dem Tunnel unter den Bäumen, immer wieder mit düsteren Steinbänken in Gebüschnischen und auf jeder zwei, drei von der knappgekleideten Sorte, die abends vor dem Café Francesa auf und ab ging, nur zu erkennen, wenn ihre Zigaretten aufglimmten. Die Mädchen, die der Einbeinige unterrichtet, sagte Vila, du kannst jede haben, sie küssen sogar für Geld. Was machen wir jetzt mit uns?
Sie stieß den Kopf an Bühls Schulter, im Grunde schon eine Antwort: machen wir einfach weiter so, und wieder der Gedanke, warum sie eigentlich hier war, der Appell an sich selbst, aber nun auch ein Gegengedanke: was Renz wohl gerade machte. Diese Producerin, mit der mein Mann weggefahren ist, die hast du gar nicht kennengelernt,
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