Liebe in groben Zügen
abgefedert, damit sie reibungslos nach oben kommen, irgendwann vor die Tür, weil sie ihnen zu kompliziert werden und dazu all ihre miesen Seiten kennen, die Schwächen, die sie sonst als Stärken ausgeben, und dann heiraten sie ihre PR-Tussis oder gleich eine Medienfee wie die Politiker vor ihnen ihre Sekretärinnen, aber sie vögeln schon mit ihnen, während sie im Parlament noch von Solidarität reden oder sich mit Familie noch beim Gottesdienst zeigen, man sie im Fernsehen sieht, wie sie die Hostie empfangen, mit derselben Zunge, die sie am Tag zuvor sonst wohin gesteckt haben, das ist die Wahrheit, Renz! Und zweifellos hatte sie recht, auch wenn damit ein Stück seiner eigenen Wahrheit gemeint war, nur schwingt er keine moralischen Reden, selbst seine Figuren halten sich in dem Punkt zurück, und er hat auch andere Freunde als diese Leute. Da gibt es keine Finanzhaie, Partylöwen, Agenten oder Lobbyisten, keine Nuttenschauspielerinnen und keine Gefälligkeitsredakteure, die einen irgendwann doch zur Sau machen, und für die wenigen Male, die er mit solchen Leuten gefeiert hat, schämt er sich. Oder würde sich schämen, wenn er der kleinen Patriotin, die immer noch vor sich hin schlief, davon erzählte. Für alles andere muss er sich nicht schämen. Nur wer sich christlich oder sozialistisch gibt und seine Frau betrügt und gegen eine jüngere austauscht, muss sich schämen. Über solchen Leuten sollte in großen Lettern das Wort Ehebrecher oder Scheinheiliger leuchten, wenn sie in Talkrunden ihre menschenfreundlichen Phrasen loswerden, damit alle sehen, dass es bei ihnen keine Mülltrennung gibt, auch wenn sie sie predigen, dass alles in einem Maßanzug steckt, der Brustton der Überzeugung und etwas darunter ein nicht gerade wählerischer Schwanz. Und Vila geht sogar noch weiter: Diese Leute gehören geohrfeigt wie der Kanzler Kiesinger vor Zeiten von der unerschrockenen Klarsfeld geohrfeigt wurde, weil er ein Nazi war, damals wie heute die sinnvollste Handlung. Sagt Vila. Oder diese Politiker mit angeblichem Charisma, ein Wort, das man verbieten sollte, die Typen mit geschliffenen Manieren und Sätzen, so geschliffen, dass sich die Medien daran in den eigenen Finger schneiden, auch sie gehören geohrfeigt, dass ihnen die Designerbrille davonfliegt. Sagt Vila. Sie sagt es nicht öffentlich, aber sie sagt es ihm. Und er zieht vor ihr den Hut. Und denkt nicht daran, sie zu verlassen, und hat auch nie daran gedacht, in keinem fremden Bett, oder vor wem zieht man heute noch den Hut, den man gar nicht mehr trägt. Vila ist unerbittlich. Sie urteilt auf ihre Art über eine Welt, die schon längst verurteilt ist: zu immer mehr Dummheit, und glaubt, sie könnte die Welt damit erziehen, wie sie Katrin erzogen hat. Mit dem Ergebnis, dass Katrin sogar glaubt, sie könnte die Welt neu entdecken, als sei vor ihr noch niemand am Rio Xingu gewesen. Oder in Havanna, wo sie nur die Abtreibung entdeckt hat. Und natürlich kauft sie auch überall in den NGO-Läden ein, wo alles gerecht und recycled zugeht. Katrin lebt mit dem Globus im Gleichklang, eine Weltpatriotin, nur nicht, wenn es ums Eingemachte geht: wieder ein Wort, das er Cathy nicht übersetzen könnte. Wenn es ums Eingemachte geht, das, was wir wollen, um uns rund zu fühlen, ichbinich, mit der besten Ausbildung, dem besten Job und dem besten Partner in der besten Umgebung, hört aller Fairnessspaß auf. Man fragt nicht mehr nach den Rechten des ungeborenen Lebens, oder ob der Partyfummel oder das passende Tropenoutfit aus Bangladesch kommen, wo es genug Kinder gibt, die für ein paar Cent alles nähen, ja, man sieht nicht einmal die Widersprüche, man überlässt sie den Parodisten und lacht auch noch mit, und jedes Maß geht verloren, auch seins. Er war maßlos, als er Marlies vorschlug, eine kleine Arbeitsreise durch Italien zu unternehmen, und Vila ist maßlos in ihrem Verlangen nach Einfühlung, er soll etwas verstehen, was er gar nicht verstehen kann, ihre Frauenwelt, und erwartet dafür, noch maßloser, von ihr das Gleiche: Einfühlung in seine Situation mit Marlies. Als sollte Vila am Bettrand sitzen, wenn er sein vierundsechzigjähriges Teil in Marlies steif zu halten versucht, und ihm dabei über den Kopf streicheln, das wird schon, Renz, du schaffst das, na komm, mach es ihr schön, sie lebt nicht mehr lang, was du tust, ist nur eine Form von Sterbebegleitung, du zeigst dich von deiner besten Seite, auch für mich, also los! Was sie letztlich voneinander
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