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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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mithalten. Cathy oder little runaway schob einen ihrer Füße unter die Kniekehle des anderen Beins, als würde sie bald aufwachen, so weit noch logisch, aber die Gedanken gingen darüber hinaus, schon war da ein Bild, wie sie sich nach dem Wachwerden zu ihm setzt: zwei Gestrandete in dem Tunnelgang, die sich leise über ihre Welten unterhalten und am Ende, ehe jeder in eine andere Richtung verschwindet, vorsichtig küssen, wie das ungleiche Paar in Lost in Translation, einer der besten Filmküsse überhaupt, weil ja die besten Küsse die ohne Zukunft sind. Aber Cathy wachte nicht auf, sie schlief noch weiter und träumte von irgendwas, ihre Zehen bewegten sich wie die Pfoten von Kasper, wenn er geträumt hatte, und die Frage, was sie wohl tun würde, wenn sie aufwachte, musste er sich selbst beantworten, die Art von Antwort, die am meisten hoffen lässt. Vila hatte nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht in seiner Dachbude über der Ostbahnhofstraße beim Wachwerden nur ein paarmal seinen Namen genannt, den sie später ersetzte, mit Renz statt Bernhard, so wie er sie einfach Vila nannte, und als sie beide ihre Namen hatten, fing ihr goldenes Zeitalter an, bis Katrin zur Schule kam, auch wenn Vila gern so redet, als hätte es diese Zeit nie gegeben, und er dann so redet, als ginge sie immer noch weiter, ihr Doppeltheater. Jeder weiß, dass der andere übertreibt, ein Wissen wie eine beschützende Werkstatt, die er bei keiner anderen als Vila findet – vielleicht existiert ja auch alles, was einen retten kann, schon, er muss nicht recht behalten mit seinem Pessimismus. Auch wenn Vila denkt, er könnte sich nie ändern. Dein Gewicht ändert sich, sagt sie, deine Haarfarbe, die Größe deiner Prostata, deine Art nie. Sie hält ihn für einen manisch-depressiven Negativisten und gleichzeitigen Angeber, aber für lebenstüchtig trotz allem, dazu gebildet und schöpferisch begabt, also ein Angeber mit Substanz, ihr Fürst ohne Hof, mit dem Körper, den er verdient hat: nach tausenden Flaschen Wein und Tonnen von Pasta, aglio olio, carbonara, bolognese, al pesto, al Vila, al Renzo, nach Bergen von Osso buco und Parmaschinken und ganzen Netzen voll Meereszeug, Seeteufel, Branzino, Dorade, Schattenfisch und Drachenkopf, mal mit temperiertem Barolo, mal mit eiskaltem Lugana heruntergespült. Er ist die Schlacke dieses Sommerglücks von bald zwanzig Jahren, die Harnsäure und der Zucker, die Fette aller Art und das erwähnte Cholesterin; er ist auch die Müdigkeit nach all dem und seinen Anstrengungen, es sich leisten zu können, nach Dutzenden von Drehbüchern und unzähligen Entwürfen, nicht realisiert, aber bezahlt. Und er ist die Erschöpfung nach den Nächten, um alles Billige, das man von ihm verlangt hat, zu vergessen und sich selbst gleich dazu, nach ganzen Lachen von verspritztem und seit einigen Jahren, der Übergang unmerklich, nur mehr hervorgesickertem Samen, dem eines älteren oder bald schon alten Mannes. Wenn er morgens ins Bad geht, erkennt er sich manchmal kaum noch im Spiegel oder will mit dem, der ihm dort entgegenblickt, nichts zu tun haben. Als seine Mutter, die qualmende, trinkende, ewig naschende Dokumentarfilmerin, überraschend starb, eine Frau, die am Ende auch nichts mehr mit sich zu tun haben wollte, war er mit Vila gerade im Urlaub, zwei Wochen Djerba, während Katrin einen Sprachkurs machte. Und am Strand haben sie sich tagelang fotografiert, aus dem Gefühl heraus, körperlich noch einmal auf der Höhe zu sein, womöglich zum letzten Mal, beide schlank und gebräunt, schlank schon vom ungenießbaren Hotelessen, und beide mit festem Fleisch vom vielen Schwimmen. Sie hatten ihre erste Digitalkamera, und Hunderte von Fotos entstanden, aber nur mit einer Handvoll waren sie zufrieden, darunter ein einziges, das sie beide zufriedenstellend zeigte, gemacht von einem Kamelführer mit gutem Auge oder glücklichem Finger. Vila und er ausbalanciert in allem, der Haltung und dem Bauch, dem Lachen und besonders dem Haar, weder aufgeweht noch zerzaust, ein gerechtes Foto: das Paar als Einheit, jeder mit einem Arm um den Rücken des anderen, sie die Beine leicht gekreuzt, was sie noch weiblicher macht, er die freie Hand in die Hüfte gestemmt, was Taille und Schulter betont, ein Foto, als seien sie unsterblich und das Leben ganz und gar sinnvoll, wo es doch eine Lotterie ist, und für seine Mutter an dem Tag, als das Foto entstand, durch einen Infarkt zu Ende ging. Und trotzdem, wenn er auf das eigene Leben

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