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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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noch ein Wort, das ihm im Englischen fehlen würde. Aber auch Sporthelden sind immer dünner gesät, Leute wie Hoeneß, der bei der EM in Jugoslawien seinen Elfer verschossen hat, den Titel verspielt, ein tragischer Held. Oder Becker, als er das Wimbledonfinale gegen Stich verlor, so wird man geprägt, bis einen die Medien wieder plattmachen, so auf Händen tragen, dass man den Boden vergisst und zum Deppen wird. Kaum einer, den alle kennen, bleibt heute sein Leben lang heldisch, nicht im Sport, nicht in der Unterhaltung, nicht in der Politik, dort schon gar nicht. Der letzte Politikerheld, das war Brandt, sein ganzes Leben ein Stoff. Das frühe Exil, die späteren Schmähungen, die Frontstadtzeit mit Mauerbau und Kennedy, Alkohol und Künstlernähe, der Aufstieg nach Niederlagen bis zum Nobelpreis und zuletzt der Verrat. Sentimentalität und Intellekt, die Pole von Brandt. Und die Pole heute: die von Bild-Zeitung, RTL und Pro7, Sentimentalität und Zynismus – wie sollte er das einer mit Sternenbanner und Stirnband erklären, dass man nicht über Leute schreiben kann, die im Fernsehen bestehen wollen anstatt im Leben. So I have to write about Franz von Assisi. Or did you ever hear the name Willy Brandt? Und natürlich hat Cathy den Namen noch nie gehört, sie kennt nur Hitler und mit etwas Glück noch Stauffenberg durch Tom Cruise, er müsste im Grunde beim Zeitgeist anfangen. Willy Weinbrand nannten ihn die Witzemacher, als Witzemacher noch in Bierzelten auftraten und keine eigene Sendung hatten, nicht Comedians hießen und nur geschweinigelt haben, statt dauernd ficken zu sagen und ein ganzes Wort zu ruinieren. Das war die Zeit, in der man Brandt mit klugen Frauen sah, was die Witzemacher auf den Weinbrand brachte, weil ihnen zu klugen Frauen nichts einfiel. Es gibt ein Foto aus der Zeit, das sah er vor sich in seinem Dämmer in dem Tunnel zwischen den Parkhäusern und den Terminals, auch wenn es in Wirklichkeit etwas anders aussehen mochte, auf jeden Fall war es schwarzweiß und zeigte Brandt mit Ingeborg Bachmann und Romy Schneider, Politik, Intellekt und Anmut, oder umgekehrt: Romy Schneider mit der Bachmann und Brandt oder die Bachmann mit Brandt und Romy Schneider, ein rauchendes, trinkendes, lachendes Trio, aber kein blödes Gala-Lachen, eher eins, als hätten sie keinen Zweifel, dass von ihrem jetzigen, strahlenden Sein ein Weg zum elenden Ende führt. Ein Bild, mit dem ein Film beginnen könnte, nur fehlt ihm der Schwung für das Drehbuch, auch der Stolz, um so etwas in Angriff zu nehmen, alles Weitere wäre dann Unterordnung, Faktentreue, ebenfalls keine Stärke von ihm. Und dabei hat er Brandt zweimal erlebt, das erste Mal in Berlin noch in der Schulzeit, Brandt vor einem Ku’damm-Kino im Blitzlichtgewitter zur Premiere von Mary Poppins, bei sich die Hauptdarstellerin Julie Andrews, ein Mann mit Glamour, lange bevor es hier dieses Wort gab. Und das andere Mal saß er mit ihm sogar im selben Flugzeug, nur durch eine Sitzreihe getrennt, ein Flug von Frankfurt nach Graz, Brandt war schon alt, von Krankheit geschwächt, aber noch unterwegs für den internationalen Gewerkschaftsbund, sein ganzer Tross zwei Sicherheitsleute, und Brandt so in sich gekehrt, wie ein Mensch nur sein kann. Er flog praktisch allein, obwohl die Maschine voll war, für diese eine Stunde schon vorübergehend tot, und er, Renz, sah ihn an: die zum Greifen nahe Geschichte. Und das exakte Gegenbeispiel, das müsste er Cathy auch erzählen, ein Frühstück im Ritz-Carlton, Wolfsburg. Er hatte sich dort für eine Folge mit Autonarren etwas Anschauung geholt, Neuwagenabholer, denen VW eine Nacht im Ritz spendiert, wo sie dem Entjungfern ihrer Autos entgegenfiebern, und bei dem Frühstück saß der für VW zuständige schulsprecherhafte Ministerpräsident und spätere erste Mann im Staat mit Frau und Kindern am Nebentisch, ein Schauspiel von Familie und Bürgernähe, und am Buffet streiften sich dann sogar ihre Hemdsärmel, weiß an schwarz, und es war nicht die Geschichte, der er sich nahe gefühlt hat, sondern die Geschichtchen, eigentlich seiner Vorabendwelt. Er hat Vila davon erzählt, in allen Farben, während er den Flug mit Brandt für sich behalten hatte wie eine Affäre, und eines Tages kam Vila mit der Bunten ins Haus, darin die Homestory von des Ministerpräsidenten neuer Gefährtin. Aber so sind sie, sagte Vila, die Politiker und Schauspieler und Bosse mit Erfolg: Sie setzen die Frauen, die ihnen Kinder geschenkt haben und alles

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