Liebe in groben Zügen
und über Filme und Schauspieler, wer den Franziskus spielen sollte, den jungen Playboy und Ritter, und wer den abgezehrten Wanderer. Den Ritter einer wie Johnny Depp als Don Juan DeMarco und den Wanderer einer wie Willem Dafoe, sagte Vila – warum fielen ihr nie deutsche Besetzungen ein, wenn jemand Fleisch und Blut zu spielen hatte, das Tiefe flach zu halten; nur Bühl fiel ihr noch ein, kein Vorschlag, den sie machen konnte. Also sprach man über Johnny Depp, wie der als Psychiatrie-Don Juan seinen Arzt, den feisten alten Marlon Brando, in den Wahn mitzieht, ein Film, den Renz nicht oft genug sehen konnte, vielleicht weil Brando ihm darin Mut machte, trotz der Hamsterwangen seine Frau noch herumbekam. Nur genügten da Augen und Mund: Lippen, wie sie Renz für sich auch beanspruchte; die Hamsterwangen, die hatte er, aber der Mund, das war einmal. Findet ihr, dass Renz einen Mund hat wie Marlon Brando? Eine Frage, als Heide schon zum Aufbrechen drängte, sich an Jörg festhielt. Doch, ein bisschen, sagte Marion Engler, danach gleich ihr Abschiedsdank, ein wirklich schöner Abend, fast im Chor mit ihrem Mann kam das, und Vila küsste beide, ihn auf die bärtige Wange, sie in den weichen Mundwinkel, irgendwen musste sie noch küssen, und Küsse mit Heide und Jörg zählten nicht, sie kannten sich schon zu gut. Übernächstes Wochenende bei uns in Pollença, Heides Gutenachtwort an der Wohnungstür, und kaum waren alle draußen, fasste Renz sich an den Mund und Vila sich nur an den Kopf, Ende des Brando-Themas für sie, Räumen wir lieber ab.
In der Küche dann das letzte Glas zwischen all den leeren Gläsern, während die Spülmaschine schon lief. Renz stand herum, er sah aus wie die Verlierer in seinen Serien, der alte Stehgeiger, der frühere Sportstar; Vila saß am Tisch, ihr Glas zu viel am Mund. Was soll das in München, sagte sie, und er begann Messer und Gabeln abzuwaschen, Dinge, die sie morgen in die Maschine tun würde. Wenn ich alles über München wüsste, wären wir da auf der Stelle getrennt? Sie sagte München, das klang nach Behaglichkeit, nicht nach Irrsinn, oder was ihn mit einer Kranken verband. Renz stellte das Wasser ab, er verließ die Küche. Ich tue nur, was man tun muss, wenn es jemandem schlechtgeht. Sie braucht mich.
Nein. Du brauchst es, dass sie dich braucht! Vila stand auf, sie nahm das Glas mit in ihr Zimmer. Dort zog sie sich aus und ging nackt unter die Decke und schaltete ihr Telefon ein, es gab zwei Nachrichten – Wie geht es dir?, nur diese Frage, und: habe mich etwas verliebt, katrin. Ihre Antworten unter der Decke dann ebenso knapp. Freitag Assisi, dann geht es mir gut. Und: Wieso nur etwas verliebt?
FREITAG also, das hieß noch fast eine Woche am See, wenn er an dem Tag den ersten Bus nach Verona nehmen würde; von dort mit dem Zug bis Florenz, er könnte arbeiten unterwegs. Und in Florenz gab es den Flughafen, um sich zu treffen und ein Auto zu mieten, alles Weitere: schon Träumerei. Überlegungen auf der Mole von San Vigilio, auf abgeschliffenem Fels, der den winzigen Hafen schützt, laut Renz im Sommer mondänste Ecke am See, jetzt sich selbst überlassen wie das kleine feine Hotel daneben, geschlossen seit Anfang November; die ganze Landzunge mit ihren schon wie versteinerten Zypressen hatte etwas im Stich Gelassenes, auch das Herrenhaus an ihrer Spitze, erbaut um fünfzehnhundertvierzig von dem berühmten Veroneser Sanmicheli, nachgelesen in der vila-renzschen Kaminbibliothek; und unter der Front des Hauses eine in die Ziersträucher eingeschnittene vaginaähnliche Pforte vom See her in den sonst so gesicherten Besitz.
Bühl zog sich aus und gab seine Kleidung zu einem Handtuch und einer Wolldecke, einem Päckchen getrockneter Feigen und drei Dosen Red Bull in einer wasserdichten Tasche, die hatte sich zwischen Bootskleidung in der Cantina gefunden. Dann tauchte er einen Fuß in den See – der so kalt war wie befürchtet – und sprang mit der Tasche im Arm hinein. Ganze Sekunden lang ein Raub jeden Atems, bis er um sich schlug im Wasser, die Tasche eingehängt, und halb kraulend, halb peitschend um die Spitze der Landzunge schwamm. Der See klar vor Kälte, man sah den Fels am Grund, erst moosig dunkel, dann knochenbleich, als es flacher wurde, und kurz vor der Pforte konnte er stehen; das letzte Stück ein Waten zu den Ziersträuchern, beschnitten wohl von einem Frauennarren. Hinter ihrer Öffnung ein Felsspalt, den hatte er bei einem Schiffsausflug nach seiner
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