Liebe in St. Petersburg
aber Gregor spürte darin eine Wildheit, die ihn fast überwältigte.
Es gibt keinen Vergleich, dachte er später, als er sich gewaschen hatte und umzog. Luschek hatte die Abenduniform ausgebürstet und wienerte jetzt noch einmal die Lackschuhe. Gregor bewohnte drei Räume im ersten Stockwerk des Herrenhauses: ein Schlafzimmer, einen Salon und ein Schreibzimmer mit einer kleinen Bibliothek vornehmlich französischer Werke.
Grazina ist das Rußland zwischen Wahrheit und Traum, dachte Gregor weiter, wo gibt es eine zweite Frau wie sie … Er stellte sich ans Fenster, als ihm Luschek die Hosenträger anknöpfte, und blickte in die Schneenacht hinaus. Aus dem Speisesalon schimmerten schon die Lichter über die Terrasse, von der eine breite Treppe in den Park führte. Die steinernen Putten auf der Balustrade sahen aus wie mit Zuckerguß überzogen. Dort, wo die Treppe aufhörte, war der Schnee zertrampelt. Abdrücke derber Bauernstiefel und die breiten Tatzenspuren des großen Bären Wanja waren zu erkennen …
Anna Petrowna! Irgendein Geheimnis umgibt sie. Warum spricht sie von ihrem Mann so unpersönlich? Betrachtet sie sich nicht als seine Frau, sondern mehr als seine … Beute?
»Kann ick den Rock bringen, Herr Oberleutnant?« fragte Luschek hinter ihm.
Gregor nickte. »Wie gefällt es dir auf Trasnakoje?« fragte er, als er den Rock zuknöpfte.
»Det weeß ick erst morjen früh jenau, Herr Oberleutnant«, antwortete Luschek und grinste. »Det liegt an der Alla …«
»Mal wieder bloß Weiber im Kopf, was?«
»Wat wäre so'n russischer Winter ohne sie?« Luschek schnippte noch ein Stäubchen von der Uniform. »Ick bin keen Typ, der jerne friert, Herr Oberleutnant!«
IV
Es wurden herrliche Tage.
General Michejew traf nicht, wie er angekündigt hatte, nach einer Woche ein, sondern kam erst am neunten Tag. Er reiste in einem geschlossenen, geheizten Schlitten, begleitet von zehn Elitekosaken.
Grazina und Gregor nutzten die Zeit. Sie unternahmen Spazierfahrten durch die unendlichen Wälder, ließen an verträumten Schneisen halten, wanderten durch den knirschenden Schnee und küßten sich, wo immer sie unbeobachtet waren.
Vier Tage nach seiner Ankunft lud Anna Petrowna Gregor zu einer Jagd ein. »Die Bauern haben ein Wolfsrudel gesehen, Gregorij«, sagte sie. »Reizt es Sie, Wölfe zu jagen?«
»Ungemein, Gräfin! Aber für Sie ist es zu gefährlich!«
»Sie sollen mich doch Anna Petrowna nennen, Gregorij!« Sie standen am Fenster der Bibliothek, und vor ihnen breitete sich das weite Land aus, der Besitz der Michejews. »Es wäre nicht der erste Wolf, den ich erlege.«
»Sie können schießen, Anna Petrowna?«
»Besser als der General.« Sie lachte dunkel, als sie Gregors Erstaunen sah und trat vom Fenster zurück. »Mit sieben Jahren lehrte mich mein Vater, wie man ein Gewehr hält, ohne beim Rückschlag umzufallen. Mit acht Jahren jagte ich bei uns in den Bergen Luchse und Wölfe. Wie ein Junge ritt ich in Stiefeln, Hose und Bauernjacke. Es war herrlich …« Sie wandte sich ab und ging zur Tür. Ihr schweres Seidenkleid streifte über das spiegelnde Parkett. »Treffen wir uns in einer halben Stunde vor dem Haus, Gregorij?«
»Kommt Grazina Wladimirowna auch mit?«
»Wenn sie will …«
»Sie jagt doch auch?«
»Sie jagt anders!« Anna Petrowna wandte den Kopf zurück. Gregor blickte in ihre schwarzen, traurigen aber im Untergrund doch harten Augen. »Sie werden es sehen, Gregorij!«
Zur verabredeten Zeit stand Gregor in der Halle und wartete. Vor dem Haus stand schon ein Schlitten mit drei kräftigen Pferden, an der Auffahrt zum Herrenhaus wartete ein Trupp Bauern auf kleinen struppigen Pferden. Vor sich in den Sätteln hatten sie Pechfackeln liegen. Die Leute schwatzten gedämpft miteinander und blickten immer wieder hinüber zum großen Tor, durch das bald die Herrin kommen mußte. Neben dem Schlitten stampften zwei prachtvolle, fuchsfarbene Pferde den Schnee. Zwei Lakaien hielten sie mit aller Kraft fest.
»Da sind wir!« sagte eine Stimme hinter Gregor.
Er fuhr herum. Vor ihm standen zwei schlanke Männer – das war der erste Eindruck. Erst beim zweiten Blick sah er, daß sich unter den Fellanzügen und Pelzmützen Anna Petrowna und Grazina verbargen. Die Pelzstiefel reichten bis zu den Knien. In den Händen hielt jede ein Repetiergewehr.
»Das ist ja ungeheuerlich!« sagte Gregor und blickte an seinem Pelzmantel hinunter. »Neben Ihnen komme ich mir vor, als ginge ich im Frack jagen!
Weitere Kostenlose Bücher