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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen Tritt und warf die Tür zu.
    Hauptmann von Eimmen biß die Zähne zusammen. Er bückte sich, sammelte Gregors Uniformstücke von der Straße, ging zu der wartenden Droschke und fuhr zur Botschaft zurück. Dort legte er die Kleidungsstücke wortlos Oberst von Semrock auf den Schreibtisch.
    »Ich habe es geahnt, lieber von Eimmen«, meinte von Semrock. Er seufzte und nahm Gregors Säbel auf. »Sie nicht? Bei dieser Frau? – So muß das Schicksal nun seinen Lauf nehmen.«
    Er ließ sich beim Grafen Pourtalès melden, der zum letztenmal mit Außenminister Sasonow telefoniert hatte. Ein übrigens sehr frostiger Abschied: »Wenn noch irgendwelche Fragen sind und Erklärungen abgegeben werden sollen, muß ich bitten, sich an den amerikanischen Geschäftsträger zu wenden, der unsere Interessen wahrnehmen wird.«
    »Was ist das?« fragte der Graf unsicher, als er den Säbel sah.
    »Ich muß Ihnen mitteilen, Exzellenz«, sagte von Semrock mit belegter Stimme, »daß Oberleutnant von Puttlach desertiert ist. Herr von Eimmen hat seine Uniform und das Portepee vom Palais Michejew mitgebracht.«
    »Unfaßbar!« Graf Pourtalès drehte sich zum Fenster. Unten stiegen die ersten Mitglieder der Deutschen Botschaft in die bereitstehenden Droschken. Ordonnanzen banden die Koffer und Kisten auf den Gepäckträgern fest. Einige russische Polizisten standen herum, um gegebenenfalls die deutschen Diplomaten vor der ›berechtigten Volkswut‹ zu schützen und sicher zum Sonderzug zu geleiten.
    In der Nacht zum 2. August hatten deutsche Truppen ohne Warnung Luxemburg besetzt, weil es dem deutschen Aufmarschplan im Wege stand. Die Empörung in der Welt war ungeheuerlich. Der rechte Flügel des deutschen Heeres stand bereit, auch in Belgien einzumarschieren – des alten Schlieffenplanes eingedenk, daß man Frankreich ›nur von rechts aufrollen‹ konnte. Frankreich hatte bereits am 1. August die Mobilmachung verkündet, in England wartete man jede Stunde darauf …
    »Ist die Leitung nach Berlin noch frei?« fragte Pourtalès.
    »Wir können noch telegrafieren, Exzellenz«, antwortete von Semrock heiser. Er ahnte, was nun kam.
    »Dann melden Sie dem Herrn Außenminister und dem Generalstab«, sagte der Graf müde, »daß Oberleutnant von Puttlach desertiert ist.« Er war am Ende seiner Kraft, er hatte die Nacht über kein Auge zugetan. »Es wird unsere letzte Depesche aus St. Petersburg sein …«
    Sie war es.
    Oberst von Semrock stieg als letzter in die Droschke, in der Hauptmann von Eimmen auf ihn wartete. Russische Polizei besetzte das verlassene Palais mit der scheußlichen Fassade und den nackten Wagenlenkern.
    Der Fall Gregor von Puttlach wurde in Berlin sehr rasch vor dem Kriegsgericht verhandelt. Die schnell zusammengetretenen Offiziere brauchten knapp eine Viertelstunde, um ihr Urteil zu fällen. Der Oberleutnant der I. Garde-Ulanen Gregor von Puttlach, abkommandiert als Attaché an die Deutsche Botschaft in St. Petersburg, wurde wegen Fahnenflucht vor dem Feind in Abwesenheit zum Tode durch Erschießen verurteilt.
    Der Pflichtverteidiger, ein Hauptmann, der seine Aufgabe als Farce ansah, verzichtete darauf, auf Begnadigung zur Festungshaft zu plädieren.
    Anna Petrowna, Gregor und Grazina erreichten mit ihrem Gefolge Trasnakoje schon nach fünf Tagen.
    In den Dörfern, die sie durchfuhren und die zum Michejewschen Landbesitz gehörten, standen die Frauen und Mütter am Wegrand und weinten. Wo die Kutsche anhielt, drängten sie heran, küßten Anna Petrowna die Hände, schlugen das Kreuz über dem jungen Paar und klagten ihr Leid.
    Die meisten Männer waren in die Kreisstadt geritten oder zu den Militärsammelstellen. Dort leitete man sie weiter zu ihren Regimentern. Von der Begeisterung in den Städten spürte man hier auf dem Lande nichts mehr. Hier gab es andere Probleme. Wer pflügte, wer säte, wer erntete, wer drosch das Korn aus, wer kümmerte sich um das Vieh, wenn die Männer alle fort waren? Und wußte man, ob sie wiederkamen? Wenn sie totgeschossen würden – Gott verfluche die Deutschen! –, wie sollte das Leben dann weitergehen? Überall sammelte man die Männer ein; von den Bahnhöfen fuhren lange Güterzüge, vollgestopft mit Reservisten oder Neudienenden, zu den Garnisonen.
    In diesen Augusttagen hatte Rußland über drei Millionen Menschen unter den Waffen. Ein ungeheures Heer – wie es die Welt noch nie gesehen hatte. Wer konnte Rußland besiegen? Es war unmöglich. Wenn einer fiel, waren sechs neue da,

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