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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der hohen Räder und versuchte, tiefer zu atmen. In seiner Brust brannte es noch immer. Grazina war vor ihrer Mutter bei ihm und umarmte ihn stürmisch. Er stand steif da, wortlos und auf Grazinas Zärtlichkeit nicht reagierend.
    Vom Waldrand kam Tschugarin zurück, klopfte sich den Staub von der Livree und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab.
    »Das war eine Hinrichtung!« sagte Gregor heiser, als Anna Petrowna ihn erreicht hatte.
    »Es war genau das, was er auch mit Ihnen getan hat.«
    »Ich lebe noch.«
    »Nur, weil Sie Glück hatten und ein so zäher Bursche sind. Als man Sie zu mir brachte, hat der Arzt gesagt: ›Sie können nur noch beten, Anna Petrowna.‹ Und das habe ich getan, tage- und nächtelang, mit Grazina. Und jetzt hat uns der Kerl abermals überfallen, um uns alle zu erschießen.«
    »Aber als er auf der Straße lag, war er wehrlos.«
    »Wie lange? Gregorij, Sie sollten ein altes kirgisisches Sprichwort nicht vergessen: Ein Feind ist erst dann besiegt, wenn aus seinem Leib ein Baum wächst!«
    »Was sind Sie nur für eine Frau …«, sagte Gregor leise.
    Sie antwortete nichts, warf ihr Gewehr über die Schulter und rief mit einem Pfiff ihr Pferd zurück. Es trabte heran, Anna Petrowna schwang sich in den Sattel und winkte dem Kutscher Tschugarin zu, der noch neben der Leiter zum Kutschbock wartete.
    »Weiter, Fjodor Iwanowitsch!« rief sie. »Der Krieg rennt hinter uns her. Wir müssen schneller sein als er.« Ihre sonst so dunkle Stimme war um einige Grade heller – das einzige Anzeichen einer großen inneren Erregung. Sie sah sich um und zeigte auf die zwei jetzt reiterlosen Pferde. »Vitali, die nehmen wir mit!« rief sie dem Lakaien zu, der wieder in seinen Sattel geklettert war. »Wir schenken sie den Bauern im nächsten Dorf …«
    Auf Grazina gestützt, stieg Gregor zurück in die Kutsche und ließ sich auf die Polsterbank fallen. »Man könnte Angst vor euch bekommen«, sagte er, schwer atmend, »auch vor dir! Aber ich liebe dich, Grazinanka …«
    Sie schmiegte sich an ihn, jetzt nicht mehr das Mädchen, das auf einen Mann schießen kann, sondern vollkommen die Verkörperung von Zärtlichkeit und Hingabe. »Ich habe dir einmal gesagt, daß ich die ganze Welt vernichten könnte, wenn sie dich angreift«, sagte sie leise. »Glaub mir, Grischa, ich werde es tun …«
    Die Kutsche ruckte an. Bis nach Sibirien waren es noch Wochen, der Riegel des Urals lag dazwischen, das unbekannte Gebirge, das bis auf einige Straßen noch nicht erschlossen war. Und dann kam die weite sibirische Ebene mit ihren Sümpfen und den unmeßbaren Wäldern der Taiga, mit den Riesenflüssen Ob und Irtysch und der unberührten Einsamkeit …
    Gab es dort ein Paradies für zwei Menschen, die dem Krieg entfliehen wollten?

X
    In der Deutschen Botschaft von St. Petersburg wurde gepackt. Überall standen die Kisten herum, die Koffer und vernähten Säcke. In offenen Kaminen wurden die letzten Geheimpapiere verbrannt. Seit den Morgenstunden des 2. August stand der Extrazug für die deutschen Diplomaten auf dem Finnländischen Bahnhof bereit. Der russische Außenminister hatte einen Sekretär der ehemaligen russischen Botschaft in Berlin zum deutschen Botschafter Graf Pourtalès geschickt, der bedauernd mitteilte, daß nur noch wenige Stunden zur Verfügung stünden. Jeden Augenblick konnten die russischen Armeen den Angriff auf Ostpreußen beginnen.
    Noch einmal jagte Hauptmann von Eimmen mit einer Droschke zum Palais der Michejews, um Gregor zuzureden, mitzukommen. Der Hauptmann trug Zivil; eine deutsche Uniform war jetzt gefährlich, das Volk auf der Straße kümmerte sich wenig um den diplomatischen Status.
    Das Palais war leer bis auf ein paar Diener, Kammermädchen und den Haushofmeister.
    »Die gräfliche Herrschaft ist abgereist«, sagte der Haushofmeister.
    »Und was ist mit Oberleutnant von Puttlach?« fragte von Eimmen.
    »Er hat die Herrschaften begleitet.« Der Haushofmeister lächelte ironisch. »Wollen Sie seine Uniform haben? Ich hole sie Ihnen.«
    Er ging und kam nach ein paar Minuten mit Gregors Uniform und dem Helm der Garde-Ulanen zurück. Mit einem Gesicht, das Ekel ausdrückte, ließ er die Uniform vor dem Hauptmann auf die Straße fallen. Ein anderer Diener brachte Koppel und Säbel und warf sie daneben.
    »Hier haben Sie Ihr Deutschland!« sagte der Haushofmeister stolz. »Weggefahren ist unser russischer Herr Gregorij Maximowitsch. Nehmen Sie das verdammte Deutschland mit.« Er gab dem Helm

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