Liebe in St. Petersburg
Hochwohlgeboren!«
Die Pferde schnaubten, der Speichel flog in dicken weißen Flocken über ihre langgestreckten Schädel. Anna Petrowna galoppierte voraus, sich nur mit den Schenkeln im Sattel haltend. In den Händen hielt sie das Gewehr, bereit, zu feuern.
Und dann, nach etwa hundert Metern, brachen die drei Reiter plötzlich von zwei Seiten aus dem Wald, und die ersten Schüsse peitschten auf. Tschugarin zog wie befohlen den Kopf ein, ließ die Peitsche sausen und brüllte schrill: »Hoj! Hoj!« Dann gab er die Zügel frei und sandte ein stummes Gebet zu allen Heiligen, denn noch nie hatte er hinter so entfesselten Pferdchen gesessen.
»Schießt auf die Pferde, Freunde! Ich nehme mir den Burschen an der Spitze vor!« schrie Pjotr.
In den Steigbügeln stehend, galoppierte er heran wie ein Kosak.
Anna Petrowna beugte sich im Sattel etwas nach vorn, dann riß sie das Gewehr hoch und zielte auf Pjotrs Brust.
Es sind oftmals kleine Dinge im Leben, die große Wirkungen auslösen. Man kann an einer Fischgräte ersticken, oder ein falscher Pilz unter den guten bläst einem das Lebenslicht aus. So einfach ist das.
Bei Anna Petrowna war es eine dumme Baumwurzel auf dem Waldweg, die sie Pjotr verfehlen ließ. Ihr Pferd stolperte über die Wurzel, brach aus, und Anna Petrowna flog in hohem Bogen aus dem Sattel. Ihr so gut gezielter Schuß löste sich zwar noch, aber er ging in die Luft – dem Morgenhimmel entgegen, auf den die gerade aufgehende Sonne einen flimmernden Goldschimmer zauberte.
Doch auch Pjotrs Schuß traf ins Leere. So überlebten beide, dank einer Baumwurzel – nur war Anna Petrowna jetzt im Nachteil. Sie lag am Waldrand, hatte ihr Gewehr verloren, ihr Pferd galoppierte reiterlos und wiehernd davon, die Kutsche kippte fast um, als Tschugarin die Pferde mit gewaltigem Zügelzug anhielt, um seiner Herrin zu helfen. Der Lakai auf dem vorderen Ersatzpferd schoß auf den links stehenden Wegelagerer. Er tat es in Kosakenmanier, hing an der Seite seines Pferdes im Steigbügel und feuerte unter dem Bauch des Gaules hervor auf einen der anderen Studenten. Er traf zwar nicht, aber es genügte, daß der Student auf seinem Pferd eiligst zurück in den Schutz der Büsche preschte.
Anna Petrowna rollte sich auf dem Waldboden hinter einen Baum und starrte aus schmalen Augen auf ihren Gegner. Pjotr repetierte sein Gewehr und brüllte dann:
»Stoj! Alles heraus aus dem Wagen! Die Arme hoch! Komm her, du deutscher Hund, und auch du, seine Hure!«
Tschugarin blieb nichts anderes übrig, als die Arme hochzureißen. Er saß auf dem Kutschbock, die Pferde zitterten wie toll, er hatte vorsorglich die Bremsbacken des Wagens angezogen und hoffte darauf, daß der Lakai Vitali Jakowlewitsch unter dem Bauch seines Gäulchens hindurch einen guten Schuß auf Pjotr abgeben würde.
»Das ist er!« sagte Grazina in der Kutsche ganz ruhig und hob langsam das Gewehr. »Das ist der Teufel, der dich bald totgeschlagen hätte, Gregorij. Erkennst du ihn wieder?«
»Er ist es wirklich!« Gregor hielt Grazinas Arm fest. »Schieß nicht!«
Pjotr ritt näher an die Kutsche heran. Sein Gewehr war auf Anna Petrowna gerichtet, die zwar hinter dem Baum lag, aber mit ein wenig Geschick doch zu treffen war.
»Aussteigen!« brüllte Pjotr und lachte.
Vitali Jakowlewitsch schoß wieder unter dem Bauch des Pferdes hervor und traf den zweiten Studenten, der hinter Pjotr ritt, ins Bein. Der Mann brüllte auf, hieb auf sein Pferd ein und galoppierte in den Wald. Dort glitt er aus dem Sattel, versuchte, seinen Stiefel auszuziehen, und knirschte vor Schmerzen mit den Zähnen. Er spürte, wie sich sein Stiefel mit Blut füllte.
In diesem Augenblick tat Grazina etwas, was Gregor nie erwartet hätte. Sie stieß ihm den Gewehrkolben so heftig gegen die Brust, daß er nach Atem rang und ein paar Sekunden lang bunte Punkte vor seinen Augen flimmerten. Sie hatte genau die gebrochene Rippe getroffen, Gregor krümmte sich nach vorn, war halb benommen vor Schmerz und hörte, wie Grazina aus der Kutsche sprang und die Tür hinter sich zuschlug.
Verzweifelt versuchte er nach seinem Gewehr zu greifen, aber der Stoß gegen die verletzte Brust hatte ihn gelähmt.
Draußen rannte Grazina geduckt bis zum Ende der Kutsche. Sie sah Vitali an der Seite seines Pferdes hängen und sein Gewehr neu laden. »Hochwohlgeboren!« schrie er entsetzt. »Zurück! Der Kerl ist gefährlich!«
Pjotr war nun nahe bei der Kutschentür, hinter derem offenen Fenster noch immer
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