Liebe in St. Petersburg
allgemeinen Lärm hörte man ihn nicht.
Oben auf der Hügelkuppe löste Risamats allergische Nase ebenfalls eine sofortige Reaktion aus. Die beiden Verbrecher stürzten sich auf Grazina, aber hier waren die Büsche schneller. Gregor, Jerschow und Tujan schossen fast gleichzeitig, und Wanda Timofejewna, die sich mit der Waffe in den Zweigen verhedderte, schrie mit Donnerstimme: »Grazinanka! Keine Furcht! Wir sind da!«
Die beiden Blatnjaki brachen im Kugelhagel zusammen. Mit drei großen Sprüngen war Gregor bei Grazina. Er hatte seinen Busch abgeworfen, auch Jerschow und der Pope krochen aus ihren grünen Wunderwerken, lediglich Tante Wanda kam nicht aus ihren Ästen heraus und fluchte schlimmer als ein betrunkener Fuhrknecht.
Mit ein paar Messerschnitten befreite Gregor Grazina von ihren Fesseln, aber als sie sich in die Arme sinken wollten, schrie Jerschow: »Sie kommen zurück! Sie reiten unsere Leute einfach nieder! Wir müssen weg, hinunter zum Fluß! Der Weg ins Dorf ist abgeschnitten!«
Der Revolutionär entriß den beiden Halunken die Waffen und rannte voraus. Gregor und Grazina folgten ihm, Hand in Hand, nur Tujan, der Pope, blieb stehen und hob segnend die Hand vor Wanda Timofejewna.
»Gott schütze Sie, Mütterchen!« sagte er feierlich. »Bleiben Sie ein Busch! Stehen Sie ganz still … Sie sehen so natürlich aus, daß niemand einen Menschen hinter diesem Strauch vermuten wird.«
Dann machte auch er, daß er wegkam, denn von der anderen Seite kamen vier Blatnjaki heran. Wanda Timofejewna stieß einen letzten Fluch aus, stellte sich dann zwischen zwei Birken und verhielt sich ganz still und steif. Es kam so, wie Tujan prophezeit hatte: Niemand hatte ein Auge auf den Busch … man sah die toten Kameraden und sah, daß Grazina fort war.
»Wir holen sie ein!« schrie der Anführer. »Sie kommen nicht weit! Wir verfolgen sie! Nowo Prassna wird niedergebrannt – und jedes Weibsstück soll dran glauben!«
Auf der Steppe zwischen Hügel und Fluß begannen die Bauern zu laufen, sobald sie sich ihres Buschwerks entledigt hatten. Die Verbrecher ritten zwischen ihnen herum, schlugen sie aufs Haupt, schossen und schrien dabei, daß es die Nerven zerreißen konnte.
Luschek und Tschugarin lagen am Fuße des Hügels und warteten, bis einer der Halunken an ihnen vorbeiritt, sprangen dann auf und rissen den Überraschten vom Pferd, um ihn bewußtlos zu schlagen. Aber was nützte schon ein Mann weniger, wenn zwölf andere wie die Teufel wüteten?
Es war wie ein Wunder, daß Grazina, Gregor, Jerschow und Tujan trotzdem den Tobol erreichten, eines der Boote ins Wasser schieben konnten und auf den Fluß hinaustrieben, gerade, als die Blatnjaki das Ufer erreichten.
»Auf den Boden legen!« schrie Gregor und riß Grazina unter sich. Er deckte sie mit seinem Körper, legte den Pistolenlauf auf den Bootsrand und schoß auf die Verbrecher am Ufer. Die Strömung erfaßte das Boot und riß es in die Mitte des Tobol.
»Sie entkommen uns nicht!« schrie der Anführer. »Sie werden höchstens auf dem Fluß verfaulen!« Sie ritten am Ufer immer auf gleicher Höhe mit dem Boot; sechs Mann, während die anderen das zweite Boot in den Fluß stießen, es mit Waffen, Munition und Verpflegung beluden und dann die Flüchtenden verfolgten.
Als sie in der Mitte des breiten Tobol angekommen waren, wo kein Schuß sie mehr erreichen konnte, setzten sich Gregor, Jerschow und Tujan und hoben die langen Ruder ins Wasser. Grazina blieb auf dem Boden liegen, aber sie umarmte Gregors Beine und legte ihren Kopf auf seine Füße. Jetzt erst weinte sie, weinte sich ihre ganze Angst und Erlösung vom Herzen, während Gregor immer wieder ihr Haar streichelte.
»Sie sind uns überlegen«, sagte Jerschow und blickte zurück, wo er auf dem Wasser im fahlen Nachtlicht den Schatten des zweiten Bootes erkennen konnte. »Wir müssen Hilfe holen!«
»Hilfe? Wo?« Grazina hob den Kopf. »Die Dörfer sind ohne Männer, und wer noch da ist, hat keine Waffen.«
»Es gibt in Nasjarewo ein Militärlager«, sagte Tujan. »Ich habe ein paarmal dort gepredigt. Es sind nicht viele Soldaten, vielleicht dreißig Mann. Aber das könnte genügen. Sie bewachen irgend etwas Unterirdisches, über das sie nicht sprechen. Sie haben Waffen!«
»Nasjarewo ist neun Werst entfernt!« Jerschow schüttelte den Kopf. »Wie soll man die Soldaten verständigen?«
Sie fuhren vielleicht eine halbe Stunde den Tobol hinunter, als sie eine große Sandbank sahen, die den Fluß in
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