Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Schein aus dem Himmel hervor, und die isländische Flagge umhüllte die Welt. Und dann folgte friedliche Dunkelheit.
Abende in Dalvík
Am nächsten Tag fuhr ich nach Dalvík. Mein Automechaniker rief morgens an und verkündete, dass das Auto fertig sei. »Es war der verdammte Luftfilter. Der war defekt.« Als ich schwieg, fügte er hinzu: »Aber der Vergaser musste trotzdem überholt werden, der war total verstopft.« Ich zweifelte gar nicht an seinen Fähigkeiten, sondern dachte an meinen Traum, den ich in der Nacht hatte, als ich in der Stadt ankam. In dem Traum war das Problem der Luftfilter gewesen, doch mir war es nicht in den Sinn gekommen, dem Schrauber davon zu erzählen. Und ich fand es schrecklich, dass dieser Traum wahr geworden war, denn infolgedessen müsste das Auto am Mývatn wieder liegen bleiben.
Die Gesamtsumme auf der fleckigen Rechnung des Mechanikers war demgegenüber der reinste Albtraum. Obwohl ich einige Einwände erhob und ihn darauf hinwies, dass die Band sich das nicht leisten könnte, ließ er sich nicht erweichen. Auf einmal konnte es ihm nicht gleichgültiger sein. Und ich gab auf, als er mich spöttisch daran erinnerte, dass ich ihn gebeten hätte, die Reparatur so schnell wie möglich zu erledigen, Nachtarbeit hätte eben ihren Preis. Ich wusste, dass er das wusste, und er wusste das. Als ich die Rechnung beglichen hatte und sauer die Werkstatt verließ, rief er mir hinterher: »Werde ich mein signiertes Exemplar der Platte trotzdem bekommen?«
Dalvík ist schon immer einer der schneereichsten Orte des Landes gewesen, im Übrigen aber wie eine ganz gewöhnliche Siedlung anzuschauen. Von gelblicher Erscheinung, der Straßenkiosk an seinem Platz, der Supermarkt ebenfalls, auf dem höchsten Hügel thront eineweiße Kirche, und direkt daneben steigt Dampf aus dem neuen Schwimmbad. Gleich neben dem Hafen schlummert ein braunes Haus, das Garðar genannt wird und sich nicht gerade hervortut. Darin hatten meine Tante, Frau Margrét, und ihre Familie gelebt, und bei ihnen habe ich manchmal den Sommer verbracht. Damals ragte das Haus über Dalvík empor und lächelte schelmisch der Welt entgegen, jetzt scheint es jedoch eher in sich selbst zu verschwinden. War Garðar geschrumpft oder ich gewachsen? Liegt es einfach daran, dass man größer wird, oder daran, dass alles andere kleiner wird? In diesem Haus hatte es immer genug Platz für eine große Familie gegeben, einen Neffen aus Reykjavík ab und zu, sowie für ununterbrochenen Gästeverkehr. Der alte Mann in Stykkishólmur hatte gesagt: »Dort sind wir groß geworden, sieben Geschwister, und immer war genug Platz.« Möglicherweise sind es gar nicht die Hauswände, die den Platz begrenzen. Möglicherweise besteht Platz aus demselben Stoff wie Erinnerungen und zieht sich mit der Zeit zusammen, wenn er nicht genutzt wird, kann sich aber endlos ausdehnen, wenn man nur will. Frau Margrét und Familie waren jedoch schon vor langem nach Süden gezogen, und Garðar begann zu verfallen.
Zwei der Kinder hatten sich in Reykjavík nicht wohl gefühlt und sind wieder nach Dalvík gezogen, jedoch in ein anderes Haus ein Stück weiter oben im Ort, und selbstverständlich gibt es immer noch genügend Platz für einen Cousin aus dem Süden. Meine Cousine Hulda wohnte mit ihrem Mann und zwei Kindern auf der oberen Etage, und die untere gehörte ihrem älteren Bruder, dem dreißigjährigen Seemann Ingó. Jeden Abend kam Ingó hoch, um mit der Familie zu speisen, und fragte nach dem Essen: »Na, ein Video oder ein Spiel?« Kurz darauf riefen dann die Freunde an und fragten dasselbe: Spiel oder Video? Wenn das Abendprogramm zusagte, kamen sie herüber, wenn nicht, suchten sie einfach weiter, so lange, bis sie das passende Vergnügen fanden. Ein Spiel oder ein Video, so begannen die meisten Abende in Dalvík, und so endeten sie auch. Über dem Ort lag gähnende Stille. Manchmal wurde aber doch Dalvíker Landakaffi, Kaffee mit Selbstgebranntem,zum Abendvergnügen getrunken, und dann wurden die Leute doch ein bisschen lebendiger in ihren Berichten oder lachten etwas lauter über die lustigen Szenen im Film, hörten dabei jedoch nie auf, mit dem Teelöffel im Glas zu rühren.
Damals hatte ich einen kleinen Hammer weggelegt, mich von den Kindern verabschiedet, war in einen Lastwagen hochgeklettert und hatte einen halbfertigen Bauspielplatz verlassen. Jetzt hatten sich die Hütten in Wohnhäuser verwandelt, der abenteuerliche Spielplatz in Arbeitsleben,
Weitere Kostenlose Bücher