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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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nächsten Morgen war er halb mit Schnee gefüllt. Das Gestöber hatte sich außerdem zwischen den Tür- und Fensterritzen durchgezwängt. Überall war Schnee. Eine dünne Schneedecke lag über dem Armaturenbrett und auf den Vordersitzen, eine Schneewehe auf der Liegefläche und über dem Gepäck. Ich klebte eine schwarze Mülltüte über die Öffnung der Dachluke und befestigte von innen ein Stück Pappe darunter, klebte an den Türen Klebeband entlang und entfernte den Schnee aus dem Auto.
    So verging der letzte Abend in Dalvík.

Am Ljósavatn
     
    Manche Tage werden tot geboren. Sind viel mehr Pausen als Tage. Sie kommen nicht mit der Sonne hervor, sondern regnen nieder. Gleichzeitig verlöschen die Menschen. Nichts rührt sie. Sie rühren nichts an. An einem tot geborenen Tag zu leben ist ungefähr so, wie eine summende Fliege um die Ohren zu haben, ohne sich dessen völlig bewusst zu sein. Und solche Tage vergehen nicht oder neigen sich dem Dunkel entgegen, sondern verdunsten einfach wieder ohne großes Aufsehen.
    Du hast das Auto am See Ljósavatn abgestellt. Stehst draußen im Niesel und betrachtest die weiß gesprenkelten Berge, im Regendunst, unter tief verhangenem Himmel. Die Landschaft östlich des Eyjafjörður ist sanfter, und die Hänge sind geschwungener. Ein wundersames tiefes, dunkles Braun auf allem. Das Radio ist auf
Kanal 1
gestellt, und die täglichen Todesanzeigen gleiten über den eisüberzogenen See. Das ist unvergleichlich. Das ist nicht wie irgendetwas. Alles so still, ruhig, ist einfach. Oder war.
    Todesnachrichten?
    Du bist auf dem Weg nach Húsavík. Du hast ewig hin und her überlegt, ob du dorthin wollen solltest. Es liegt nicht an der Strecke. Aber du hattest gehört, es sei ein besonders schöner Ort. Und eben deshalb, weil dich der Gedanke so stark beschäftigt hat, Húsavík auszulassen, schien es dir, als würdest du schummeln, wenn du nicht hinführest. Dir den Weg abkürztest. Aufgäbest. Doch zugleich erscheint es dir etwas tollkühn, dich selbst bis nach Húsavík zu treiben. So als ob du etwas zu selbstsicher geworden wärst, dir nicht genügend Gedanken um die Sicherheit machtest, und deshalb wird irgendetwas passieren. Aber vielleicht siehst du ja einen Wal. Jetzt streckst du dieArme aus, drehst die Handflächen nach oben und lehnst den Kopf zurück. Versuchst etwas zu spüren. Das Einzige, was geschieht, ist, dass dir schwindlig wird. Alles ist einfach.
    Später, als du die Senke von Köldukinn durchfährst, beginnt im Radio ein Hörspiel nach Bertolt Brecht. Du schaltest auf die hinteren Lautsprecher und stellst dir vor, die Sprecher seien Passagiere. Die Stimmen passen gut zu den zerfallenen Gehöften auf deinem Weg. Doch das übertriebene Spiel langweilt dich bald, und du schmeißt sie am Autofriedhof beim Hof Ystafell III hinaus und nimmst stattdessen den Moderator Hemmi auf. Er ist immer so gut drauf. Du hältst an einem weiteren Bauernhof in der Hoffnung, Bücher gegen Kaffee eintauschen zu können, aber dein Klopfen wird nicht erhört. Vor der Tür steht eine Sauerfleischtonne, daneben liegen ausgetretene, grüne Gummistiefel und ein Rentiergeweih.
    Alles ist einfach.
    Manchmal ist das genug.

Und Húsavík
     
    Im Regen war Húsavík ein farbloser Ort und zerfloss zu einem regelrechten Mischmasch. Ohne Zentrum und schwierig zu überblicken. Ich fuhr direkt zu einem der beiden Straßenkioske des Ortes, doch als ich mich gerade an einen Tisch gesetzt hatte, machte mich die Verkäuferin in mittlerem Alter freundlich darauf aufmerksam, dass Rauchen verboten sei. Wo soll das hinführen, Þorgrímur? An einem neuen Ort anzukommen, einen Kaffee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen, das waren die besten Momente der Reise. Dann versuchte man sich zu sammeln. Holte die Islandkarte hervor, betrachtete den zurückgelegten Abschnitt und durchdachte die bevorstehende Strecke. Oder lauschte den anderen Kunden ringsum und las über den betreffenden Ort in
Unterwegs in Island
. Doch jetzt versuchte irgendein abgetakelter Fußballfan mit leicht entzündlichen Haaren meine Lieblingsstunden zu ersticken. Ich erhob mich genervt und wollte gerade wieder gehen, blieb dann aber mitten im Raum stehen. Drehte mich zur Verkäuferin um, die in aller Ruhe die Eismaschine putzte, und rief so zynisch, wie ich irgend konnte: »Gibt es hier irgendeinen Ort, der A: geöffnet hat, B: Kaffee verkauft und C: sowohl Schwarze als auch Zigaretten zulässt?«
    Sie drehte sich um. Offensichtlich

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