Liebe ist der größte Schatz
trug er rehbraune Breeches und einen dunkelbraunen Gehrock. Sein Krawattentuch war kunstvoll gebunden, und sein Hemd leuchtete schneeweiß. Er hatte ein Bein über das andere geschlagen, wodurch er den Anblick eines Gentleman bot, der es gewöhnt war, Befehle zu geben, die bedingungslos ausgeführt wurden. Er wirkte gebieterisch und beeindruckend selbstsicher.
Aber er hat blutige Rache an meinem Vater verübt, rief Emerald sich in Erinnerung und fragte sich unwillkürlich, ob es jetzt an ihr war, Rache zu nehmen. Worin unterschieden sie sich noch, wenn der schmale Grat zwischen Recht und Unrecht überschritten wurde? Sie schluckte schwer und schenkte ihm Tee ein. Als er aufstand, um die Tasse entgegenzunehmen, berührten sich ihre Hände, und plötzlich schien sich alles zu verlangsamen. Die Zeit, ihre Atmung, ihre Angst. Lediglich ihr Herz raste, als sie die Wärme seiner Haut auf ihrer spürte. Rasch stützte sie sich auf die Lehne des Sofas neben sich, um nicht in Versuchung zu geraten, wieder in seine Arme zu sinken. Denn sie vermochte nicht mit Sicherheit zu sagen, ob sie ihr Herz nicht gerade für immer verloren hatte.
Was geschah bloß mit ihr? Sie gebärdete sich wie eines dieser zimperlichen Püppchen, wie sie zuhauf in London anzutreffen waren. Bestimmt erröte ich unaufhörlich, dachte sie verärgert, da sich jedes Mal, wenn er ihr nahe kam, unliebsame Hitze in ihr ausbreitete.
Fest entschlossen, diesem Eindruck entgegenzuwirken, straffte sie sich. „Bitte verzeihen Sie“, begann sie, „nach dem Zwischenfall gestern auf der Soiree fühle ich mich etwas unpässlich.“ Sie hielt inne und beobachtete ihn, wie er die Tasse abstellte. Er sah aus, als bereite er sich darauf vor, sie ein weiteres Mal aufzufangen.
Unpässlich, sinnierte sie, wann habe ich dieses Wort je in den Mund genommen? Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie in seinen Augen vielleicht tatsächlich zart, verletzlich und weiblich wirkte, und sie verkniff sich ein Lächeln. Es war so einfach, Männer glauben zu machen, was sie glauben sollten. Sie setzte sich und griff nach dem Fächer, den sie auf dem Tisch abgelegt hatte.
Asher Wellingham erschien ihr heute älter und gelassener als gestern auf der Soiree. Er strahlte eine geradezu eisige Kälte aus, und dies beunruhigte sie. Hier, in der gesitteten Atmosphäre eines Londoner Gesellschaftszimmers, konnte sie die kaum verborgene Gefahr, die von ihm ausging, fast mit Händen greifen. Seine elegante kultivierte Kleidung vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er ein Krieger war – ungezähmt und bereit zuzuschlagen, wenn ihr auch nur der geringste Fehler unterlief. Dabei hatte sie bereits einen schwerwiegenden Fehler begangen, als sie in der vergangenen Nacht verabsäumt hatte, ihre Spuren zu verwischen. Die Art, wie er sie ansah – so, als habe er sie längst durchschaut –, sorgte Emerald einmal mehr.
Sie führte ihre Tasse an die Lippen und trank einen Schluck von dem reichlich gezuckerten Tee. Frisch gestärkt sprach sie sich neuen Mut zu. Ihr Talent sich zu verstellen, würde ausreichen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie stellte die Tasse wieder ab, legte die Hand vor den Mund und deutete ein Gähnen an.
Asher beobachtete sie und hatte immer mehr das Gefühl, vor einem Rätsel zu stehen. Er verstand diese Frau einfach nicht, konnte ihr Gebaren nicht einordnen. Nichts, das sie tat, ergab einen Sinn. Sie trug dieselben Handschuhe wie gestern Abend, was in Anbetracht der Tatsache, dass sie befleckt waren, recht seltsam anmutete. Außerdem hatte sie einen hässlichen Bluterguss an der Wange mit flüchtig aufgetragener Schminke zu kaschieren versucht, während die rote Narbe über ihrer Augenbraue sie offenbar nicht kümmerte. Wer mochte sie so zugerichtet haben?
„Haben Sie sich verletzt?“
„Ich bin versehentlich gegen eine Türkante gestoßen. Meine Tante half mir, den blauen Fleck zu verdecken. Ich hoffe, er ist nicht zu auffällig.“ Emerald fasste sich vorsichtig an die Wange, und diese Geste rührte ihn. Sie trug die merkwürdigsten Kleider wahllos zu sämtlichen gesellschaftlichen Anlässen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, und ihr Haar war heute ebenso schlecht zurechtgemacht wie am Abend zuvor. Für den Bluterguss an ihrer Wange jedoch schämte sie sich offenbar. Nichts, das Emma Seaton betraf, ergab einen Sinn.
Sie legte nie ihre Handschuhe ab. Sie sprach mit dem gleichen Akzent wie der mysteriöse abwesende Mr. Kingston. Sie hatte Angst, wovor
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