Liebe ist der größte Schatz
auch immer, und sie erschien ihm ungemein zart.
Sah er sich im Salon um, fielen ihm andere Merkwürdigkeiten ins Auge. Die Möbel waren ebenso heruntergekommen wie Miss Seatons Garderobe. Doch in dem Bücherschrank an der Wand ihm gegenüber mussten ungefähr hundert kostbare, in Leder gebundene Bände stehen. Kingslake, Wordsworth, Byron und Plato. Die meisten Werke waren einem flüchtigen Blick auf die Buchrücken nach zu urteilen, in englischer Sprache verfasst, aber einige trugen arabische und lateinische Titel. Wer zum Teufel las in diesem Haus Bücher in arabischer Sprache? Gehörten diese Werke Liam Kingston? Asher setzte an, um die Countess of Haversham darüber zu befragen, als der Türklopfer betätigt wurde. Einen Augenblick später rauschte seine Schwester Lucinda in Begleitung ihrer Zofe in den Raum.
„Es ist mir äußerst unangenehm, einfach so bei Ihnen hereinzuplatzen, Lady Haversham, doch ich musste einfach kommen“, sprudelte die junge Dame hervor. „Ich bin Miss Wellingham. Man hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass Mr. Kingston hier wohnt, und ich wollte ihm unbedingt meinen Dank aussprechen.“
Asher erhob sich und trat auf Lucinda zu. „Bedauerlicherweise ist er abgereist, meine Liebe, nach …?“ Er wandte sich um und blickte Miriam fragend an.
Miriam zögerte viel zu lang, um schließlich ein wenig schrill zu verkünden: „Nach Hause.“
„Wird er wiederkommen?“, wollte die Besucherin wissen. Sie wirkte ebenso neugierig wie enttäuscht von der Neuigkeit.
„Ich denke nicht, nein“, kam Emerald ihrer Tante zuvor. „Er ist verheiratet, müssen Sie wissen“, betonte sie, um die sich abzeichnende Schwärmerei des Mädchens im Keim zu ersticken. „Seine Gemahlin ist Amerikanerin. Aus Boston. Sie wünscht, dorthin zurückzukehren, sobald sie ihr viertes Kind zur Welt gebracht hat.“
Lucinda wurde kreidebleich. „Er ist verheiratet und hat vier Kinder? Aber er sieht doch so jung aus …“
„Oh, das sagen die Leute oft, wenn sie ihn kennenlernen.
Ist es nicht so, Tante Miriam?“
Zum Glück nickte die Countess zustimmend, und Emerald fuhr fort: „Vielleicht haben Sie ihn in der Dunkelheit auch nicht genau erkennen können.“
Wellinghams Miene war unergründlich, während seine Schwester darauf bestand, sich für ihre Rettung erkenntlich zu zeigen. „Wir fahren die kommende Woche nach Falder, Asher. Können wir Lady Haversham und ihre Nichte nicht einladen? Als Dank für die Unannehmlichkeiten, die ich ihrer Familie bereitet habe?“
Klopfenden Herzens wartete Emerald auf Wellinghams Reaktion. Wenn er den Gehstock nicht in seiner Stadtresidenz aufbewahrte, würde sie ihn bestimmt auf seinem Landsitz finden … vorausgesetzt, er stimmte dem Vorschlag seiner Schwester zu.
„Eine gute Idee.“ Seine Antwort hätte nicht widerwilliger ausfallen können. Emerald ließ sich jedoch nicht abschrecken, denn eine Gelegenheit wie diese durfte sie sich nicht entgehen lassen.
„Wir wären hocherfreut, Sie auf Ihrem Landsitz besuchen zu dürfen, Lady Lucinda“, sagte sie und fügte hinzu: „Ich kann mir keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre als in Falder.“
Zutritt zu Falder, dachte sie zufrieden. Welch eine unerwartet glückliche Fügung. Obwohl Wellingham wenig Enthusi asmus an den Tag legte bei der Aussicht auf ihre Gesellschaft, war sie nicht entmutigt. Eine Nacht würde ihr für die Suche genügen, und danach wären sie wieder auf hoher See.
„Und auch Ihr Cousin Mr. Kingston ist uns auf Falder willkommen“, fügte Lady Lucinda strahlend hinzu. „Denn es wäre mir eine große Ehre, ihm persönlich für seinen Einsatz zu danken.“ Sie ergriff den Arm ihres Bruders, damit er ihr zustimmte.
Der Duke nickte höflich. „Bringen Sie ihn unbedingt mit, Lady Emma, denn einem Mann, der den Earl of Westleigh so mühelos außer Gefecht setzen kann und meine Schwester wohlbehalten nach Hause bringt, ohne eine Entschädigung zu erwarten, gebührt die größte Bewunderung.“
Nachdem die beiden Besucher sich verabschiedet hatten, setzte Miriam das erste Mal an diesem Tag ein Lächeln auf. „Ich würde sagen, dass es sehr gut gelaufen ist, meinst du nicht, meine Liebe?“
Sehr gut?, fragte Emerald sich verwundert. Sie konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die Tante eine neue Brille brauchte. Dann schüttelte sie den Kopf und lächelte. Am Ende hatte Miriam doch recht, und sie waren der Schatzkarte ein gutes Stück näher gekommen.
„Was weißt du
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