Liebe ist der größte Schatz
über die Countess of Haversham, Jack?“ Asher lehnte sich in seinem Sessel zurück und zog an seiner Zigarre. Er hatte in der vergangenen Nacht kaum eine Stunde geschlafen, doch mit einem ordentlichen Schluck Brandy im Magen mutete ihn die friedvolle Ruhe in seiner Bibliothek recht angenehm an. Und für eine kurze Zeit empfand er den Zorn, den er seit geraumer Zeit im Herzen trug, nicht so stark.
„Ihr Gemahl, Matthew hieß er, starb vor fünf Jahren an einer Herzattacke. Gerüchte besagen, die Spielschulden, die er seiner Frau hinterließ, seien beträchtlich.“
„War die Countess aus diesem Grund gezwungen, ihr gesamtes Mobiliar zu verkaufen?“
„Sie hat ihr Mobiliar verkauft?“, wollte sein Freund bestürzt wissen.
„Fast vollständig. Ich war heute Morgen in Haversham House in der Park Street zu Besuch. In dem Salon gab es genau fünf Möbelstücke: drei Stühle, einen Tisch und einen Bücherschrank. Mehr nicht.“
Neugierig neigte Jack sich zu seinem Gastgeber vor. „Das würde erklären, weshalb die beiden Damen nicht gerade nach der neuesten Mode gekleidet sind. Zunächst nahm ich an, der Geschmack insbesondere der Nichte sei von dem Leben auf dem Land geprägt. Aber wenn man Tony Formisson Glauben schenken darf, verhält es sich ganz anders. Er sagt, sie sei vor fünf Monaten mit einem der Schiffe, die seinem Vater gehören, in England angekommen – begleitet von zwei schwarzen Lakaien und einer Menge schwerer Truhen im Schlepptau.“
Asher begann zu lachen. Die Bücher in dem Salon gehören ihr?, ging es ihm durch den Kopf. „War Formisson an den Docks, als sie an Land ging?“
„Ja, und er sagt, dass ihr Haar damals viel länger war, als es jetzt ist.“
„Länger?“
„Es reichte ihr seiner Einschätzung nach bis zur Taille, denn sie trug es offen. Überhaupt sah Lady Emma zu der Zeit angeblich ganz anders aus.“ Lord Henshaw erhob sich und nahm seinen Hut vom Konsoltisch neben der Tür. „Es ist spät. Ich sollte längst zu Hause sein.“ Sein Blick fiel auf die Karaffe auf dem Kaminsims. „Dein Brandy ist einfach zu gut, Asher. Wo hast du ihn her?“
„Aus der Charente in Frankreich.“
„Ein Mitbringsel von deiner letzten Fahrt?“
Asher nickte. „Ich werde dir ein paar Flaschen zukommen lassen, aber als Gegenleistung möchte ich, dass du Formisson entlockst, woher das Schiff kam, das Emma Seaton nach London brachte. Aus welchem Hafen und in welchem Monat.“
Jacks Augenbrauen schnellten hoch.
„Erkundige dich diskret und sei vorsichtig, denn ich will nicht, dass es aufgrund unserer Neugierde Probleme gibt.“
„Für Emma Seaton oder für dich? Ich habe den Eindruck, dass du auf der Soiree recht angetan warst von ihr.“
„Du deutest die Dinge falsch, Jack. Ich habe nur meine Arme ausgestreckt, als sie gegen mich sank. Dabei ging sie weniger raffiniert vor, als ich es von anderen Damen gewohnt bin. Noch während sie zu Boden stürzte, waren ihre Augen geöffnet. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass die ganze Szene geplant und sie alles andere als ohnmächtig war.“
Jack musste lachen. „Willst du sagen, sie hat sich dir mit Absicht an den Hals geworfen?“
„Ich bezweifle, dass ich die Wahrheit je ergründen werde, obwohl ein Mann am Spieltisch sagen würde, dass meine Gewinnchancen recht gut stehen.“ Die Heiterkeit wich aus seinen Zügen, als er fortfuhr: „Nebenbei bin ich zu alt, um auf die Kunstgriffe einer unerfahrenen und zimperlichen Jungfer vom Lande hereinzufallen.“
„Du bist einunddreißig und gehörst noch lange nicht zum alten Eisen. Lady Emma ist – im Unterschied zu den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen – schwer durchschaubar. Wenn du nicht an ihr interessiert bist, lass es mich wissen. Ich werde es dann mit Sicherheit sein.“
„Nein!“, hörte Asher sich zu seiner Überraschung protestieren, und um von seiner Erregung abzulenken, griff er nach der zweiten, noch vollen Brandyflasche auf dem Kaminsims und überreichte sie dem Freund. „Hier, für den Weg“, brummte er und fluchte insgeheim, als die Tür hinter seinem Gast ins Schloss fiel.
Emma Seaton.
Wer war sie wirklich? Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit kam so etwas wie Neugierde in ihm auf, welche die Langeweile und Gleichgültigkeit, die er seit Melanies Tod verspürte, zu vertreiben versprach.
Melanie. Seine Gemahlin.
Er drehte den goldenen Ring, ihren Ehering, an seinem Finger. Die Saphire leuchteten so blau wie einst ihre Augen, in die er nie wieder
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