Liebe ist der größte Schatz
welche Mühe hatte sie sich gegeben, ihm diese lächerliche Geschichte von einem Vetter aus Amerika aufzutischen. Sie hatte Lucinda vor dem Ruin bewahrt und keine Gegenleistung von ihm erwartet – weshalb?
Den Grund für ihr seltsames Gebaren würde er herausfinden. Er musste sicherstellen, dass Emma Seaton keine Gefahr für seine Familie darstellte.
Der Duke of Carisbrook saß noch am Frühstückstisch, als Emerald später am Morgen das Speisezimmer betrat. Er faltete seine Zeitung zusammen und wartete, bis sie den Dienstboten ihre Essenswünsche mitgeteilt hatte.
„Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?“
Sie nahm sich eine Scheibe Toast und antwortete lächelnd: „Das habe ich in der Tat, Euer Gnaden. Dank der frischen Landluft, nehme ich an.“
„Finden Sie Ihr Bett komfortabel?“
„Außerordentlich, ja.“
„Und Sie wurden auch nicht durch irgendwelche Geräusche wach in der Nacht?“
Emerald warf ihm einen raschen Blick zu und fragte sich, worauf er hinauswollte. „Nein, ich habe nicht das Geringste gehört. Sobald ich mich ausstrecke, schlafe ich ein und wache erst wieder am nächsten Morgen auf.“
„Da können Sie sich glücklich schätzen.“
„Sie schlafen nicht gut?“
„Nein.“ Er hob die Kaffeetasse an die Lippen und musterte sie über den Tassenrand hinweg. Emerald bemühte sich, seinem Blick standzuhalten, doch zu ihrem Verdruss gelang es ihr nicht. Um nicht schuldbewusst zu wirken, konzentrierte sie sich darauf, ihren Toast mit Butter zu bestreichen, und nahm sich vor, in der kommenden Nacht noch vorsichtiger vorzugehen als in der letzten.
„Ich wollte nach dem Frühstück einen Ausritt machen“, bemerkte er, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Hätten Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten? Lucy kann Ihnen ein Reitkostüm leihen, und alles andere finden Sie in der Sattelkammer neben den Ställen.“
„Ich weiß nicht recht. Es ist lange her, dass ich auf einem Pferd gesessen habe.“
„Wir werden es langsam angehen, Lady Emma.“
Emerald legte die Stirn in Falten. Obwohl er sich ausgesprochen höflich verhielt, lag etwas Finsteres in seinem Blick, das sie nicht recht zu deuten wusste. Etwas, das in ihm zu brodeln schien und nur durch einen eisernen Willen in Schach gehalten wurde.
In dem Wunsch, die Konversation leicht und unbeschwert weiterzuführen, wechselte sie das Thema. „Von Lucinda hörte ich, dass Ihre Mutter das ganze Jahr über auf Falder residiert, und ich hoffe, sie in Bälde kennenzulernen. Doch Ihre Schwester erzählte mir auch, dass die Dowager Duchess ihre Krankheiten sorgfältig pflegt.“
Er lachte auf, und Emerald war verblüfft, wie weiß sich seine Zähne gegen die gebräunte Haut seines Gesichts abhoben. „Das trifft zu. Manchmal überrascht Lucinda mich mit ihren Einsichten über Menschen. Nehmen wir Ihren Cousin.“ Plötzlich trat ein eigentümliches Funkeln in seine Augen, das Emerald nicht zu deuten wusste. „Liam Kingston. Meine Schwester sieht ihn als Ehrenmann. Als einen Menschen, der niemals lügen würde. Eine ausgesprochen wünschenswerte Charaktereigenschaft, finden Sie nicht?“
„Unbedingt“, betonte sie und trank einen Schluck Kaffee.
„Natürlich wissen Sie Aufrichtigkeit ebenso sehr zu schätzen wie ich“, erklärte er überflüssigerweise und nahm sich ein Stück Schinken. Wie die meisten Handgriffe, so führte er auch diesen mit der linken Hand aus. Er schrieb, rauchte und aß mit der Hand, die unversehrt war.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu dem Tag, an dem sie sein Schiff geentert hatten. Damals war er Rechtshänder gewesen, dessen war sie sicher. Wann mochte er verletzt worden sein? Um Himmels willen – hoffentlich nicht, nachdem sie ihn über Bord gestoßen hatte.
„Meine Familie ist mir sehr wichtig, Lady Emma, und als ihr Oberhaupt liegt es in meiner Verantwortung, für ihre Sicherheit zu sorgen.“
„Ich verstehe.“ Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie ihre Tasse absetzte.
„Es freut mich, das zu hören.“ Das Lächeln, das er ihr schenkte, erreichte seine Augen nicht.
„Guten Morgen.“
Erleichtert wandte Emerald sich zu Lady Lucinda um, die soeben den Raum betreten hatte. Asher Wellinghams Fragen begannen sie allmählich zu beunruhigen. Sie vermochte sich des Eindrucks nicht zu erwehren, dass er wütend auf sie war. Aber weswegen? Konnte er sie, Gott behüte, womöglich in der vergangenen Nacht beobachtet haben? Immerhin hatte sie jemandes Schritte im Korridor vernommen und war daraufhin
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