Liebe ist der größte Schatz
vorstellen, Madam? Lady Emma, dies sind Annabelle Graveson und ihr Sohn Rodney. Lady Emma ist neu in London und wohnt bei ihrer Tante, der Countess of Haversham.“
„ Miriam Countess of Haversham?“ Lady Graveson schien den Atem anzuhalten, als ihr Blick auf das Medaillon fiel, welches Emerald um den Hals trug, dann wurde sie blass. „Sie sind Lady Havershams Nichte?“, fragte sie und fasste sich an die Kehle. Ihre Augen verdrehten sich gen Him mel, und sie fiel ohnmächtig in Asher Wellinghams Arme.
Im Gegensatz zu Emerald an jenem Abend auf dem Ball, schien es Annabelle Graveson wahrhaftig schlecht zu gehen. Ihr Teint hatte eine kalkig weiße Farbe angenommen, und Schweiß bedeckte ihre Stirn.
Ohne Mühe hob Asher die Dame auf seine Arme und ging der kleinen Gesellschaft voran in die Taverne, um nach einem Privatsalon zu fragen und Wasser zu ordern.
Kurz darauf stand Rodney am Fußende des rasch hergerichteten Krankenlagers und betrachtete seine Mutter mit sorgenvoller Miene. „Bereits heute früh erklärte Mama, dass ihr elend sei. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass sie tatsächlich zusammenbrechen würde.“
Tröstend legte Lucinda dem jungen Mann die Hand auf die Schulter, doch in diesem Moment kam Annabelle wieder zu sich und richtete sich schwankend auf. Seufzend zog sie ein Taschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich die Stirn.
„Oh, du gütiger Gott“, hauchte sie, um sich noch dreimal zu wiederholen, während sie sich im Zimmer umsah und anschließend zu Asher hinüberblickte. „Bevor wir aufbrachen, habe ich Rodney gesagt, dass ich mich eigentlich zu unpässlich fühle, um einen Ausflug nach Thornfield zu machen. Es ist mein Magen, wissen Sie. Gestern Abend hat unsere Köchin uns eine Suppe kredenzt, von der ich glaube, dass sie mir schlecht bekommen ist. Vermutlich liegt es daran, dass mir plötzlich so übel wurde. Rodney, wo bist du?“
„Hier, Mama“, beeilte ihr Sohn sich zu sagen, und mit einem Mal sahen beide wie verabredet in Emeralds Richtung, um sie aufmerksam zu betrachten. Zum Glück kam in diesem Augenblick ein Lakai in den Salon und servierte die von Asher Wellingham bestellten Erfrischungen.
Annabelle Graveson blieb liegen, während die anderen um den Tisch herum Platz nahmen.
„Beabsichtigen Sie, für längere Zeit in Falder zu bleiben, Lady Emma?“, wollte Rodney wissen, während er sich ihr gegenüber neben Lucinda setzte.
„Für eine Woche. Meine Tante, die Countess of Haversham, begleitet mich, aber sie hat sich eine Erkältung zugezogen und muss das Bett hüten. Womöglich kennen Sie sie – Ihre Mutter jedenfalls scheint mit ihr bekannt zu sein.“
„Mama verlässt die Umgebung von Thornfield dieser Tage nicht oft, doch sie hat irgendwann einmal ihren Namen erwähnt“, erwiderte der junge Gentleman und errötete heftig, ohne indes den Blick von ihr abzuwenden. Emerald begann ihn zu mögen. Vor Jahren war sie mit der gleichen Schüchternheit geschlagen gewesen, und er erweckte den Eindruck, als habe er Freunde nötig, die ihm halfen, Abstand von seiner einnehmenden Mutter zu gewinnen.
Kaum hatte sich der Gedanke in ihrem Kopf geformt, als sie bemerkte, dass Annabelle sie prüfend musterte. „Worüber sprichst du mit Lady Emma, Rodney?“, fragte sie ihren Sohn. Ihre Stimme klang wieder kräftiger, und die Farbe war in ihre Wangen zurückgekehrt.
„Rodney wollte lediglich wissen, wie lange wir in Falder zu bleiben gedenken, Madam.“
„Oh, und was haben Sie geantwortet?“
„Eine Woche, Mylady.“
„Dann erwarten wir Sie nächsten Sonntag bei uns in Longacres zum Dinner, Lady Emma. Seine Gnaden wird Sie mitnehmen. Gegen sechs.“
Emerald konnte sich nur über den Befehlston wundern, doch offensichtlich kannten die Anwesenden die Dame zu gut, um ihr böse zu sein oder ihr zu widersprechen. Und nachdem Rodney ihr bestätigend zugelächelt hatte, gab Emerald sich der Hoffnung hin, dass es in Ordnung war, wenn sie die Einladung annahm.
Zwei Stunden später saß Emerald wieder im Sattel ihrer braven Stute und trabte hinter Asher Wellingham den Pfad in Richtung Falder hinauf. Lucinda war bei den Gravesons geblieben, und Taris hatte sich mit einem Freund zu einer Partie Schach im Wirtshaus verabredet. Emerald fragte sich, ob es womöglich zum Plan ihres Gastgebers gehörte, dass sie den Heimweg allein zurücklegten, da er so erpicht darauf gewesen war, bei erster Gelegenheit aufzubrechen. Es wunderte sie, dass er sich nichts daraus zu machen schien,
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