Liebe ist der größte Schatz
Philosophie widmet.“
„Denken Sie, ich wäre darin bewandert?“, fragte Emerald und zwang sich, lächelnd den Kopf zu schütteln. „Diese Werke gehörten meinem Vater.“
„Natürlich, Ihrem Vater. Dem frommen kränkelnden Gelehrten.“
Emerald erschrak. Die Bemerkung klang unüberhörbar ironisch. Offenbar hatte irgendetwas Ashers Misstrauen geweckt. Zu ihrer Erleichterung ergriff Lucinda wieder das Wort.
„Ich würde Sie gern zeichnen, während Sie bei uns sind, Lady Emma. Darf ich?“
Du lieber Himmel. Meinte das Mädchen es ernst? Emerald wusste nicht, was sie antworten sollte. Wie rasch würde Lucinda erkennen, dass Liams und ihr Gesicht ein und dasselbe waren? „Gibt es auf Falder Bilder von Ihnen, Lady Lucinda?“, fragte sie.
„Oh ja. Dieses Aquarell dort drüben, zum Beispiel, habe ich gemalt.“ Die junge Dame zeigte auf ein Bild über dem Kamin, welches ein imposantes Schloss darstellte, und lächelte stolz.
Emerald war beeindruckt. „Sie haben ein bemerkenswertes Talent, Lady Lucinda“, lobte sie. „Haben Sie schon Werke verkauft?“
„Nein, aber ich habe Jack Henshaw und Saul Beauchamp, Freunden von Asher, einige meiner Arbeiten geschenkt. Bislang fehlte mir noch der Mut, sie einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Wenn es Sie interessiert, würde ich Ihnen gern einmal meine Porträts zeigen.“
Ihre Porträts? Befand sich womöglich eines von Asher darunter? Emeralds Neugierde war geweckt, doch als sie dem Duke of Carisbrook einen Blick zuwarf, sah sie, dass seine Augen sich vor Zorn verdunkelt hatten. Aus irgendeinem Grund musste sie sein Missfallen erregt haben. Zum Glück kamen in diesem Moment die Diener, um den zweiten Gang zu servieren.
Taris Wellingham saß mit dem Rücken zum Fenster und nahm einen Schluck Portwein zu sich. Sein Bruder stand vor ihm und ließ den Blick über den Garten schweifen, auf den man vom Arbeitszimmer aus eine hervorragende Sicht hatte.
„Emma Seaton ist nicht das, was sie zu sein vorgibt.“
Asher straffte sich unwillkürlich und wartete auf eine Erläuterung.
„Sie ist stärker, als sie einen glauben machen will. Viel stärker.“ Taris hielt inne, um nachzudenken. Dann sagte er: „Beschreibe sie mir, Asher. Wie sieht sie aus?“
„Ihre Augen haben die Farbe der Südsee, ihre Haare sind so kurz, wie ich es noch nie bei einer Frau gesehen habe, und sie trägt immer Handschuhe.“
„Weshalb?“
„Weiß der Himmel; ich weiß es nicht.“
Taris begann zu lächeln. „Und ihr Gesicht?“
„Hast du wirklich nichts sehen können?“
„Ich konnte hören, dass sie schön ist.“
„Das ist sie“, gab Asher zu und runzelte entnervt die Stirn, als sein Bruder herzhaft zu lachen begann.
„Wann hast du denn das letzte Mal eine Frau schön gefunden?“
Wie immer, wenn Asher ein Thema meiden wollte, begann er, den Saphirring an seinem Finger zu drehen. „Lass uns über etwas anderes reden“, brummte er und brachte Taris einmal mehr zum Schmunzeln.
6. KAPITEL
Emerald hatte sich ihre schwarze Knabenkluft angezogen und eine Kerze und Zündhölzer in die Jackentasche gesteckt. Es war kurz nach drei Uhr morgens und im Haus herrschte tiefe Stille. Sie kannte den Weg, trotzdem war sie froh, dass der Vollmond schien und genügend Licht spendete, um sich in den Räumlichkeiten zurechtzufinden.
Sie schlüpfte hinaus auf den Balkon und atmete auf. Bereits als Kind hatte sie die Dunkelheit geliebt, und die nächtlichen Laute, welche nun an ihre Ohren drangen, waren eine willkommene Abwechslung zum Lärm in der Großstadt. Behände kletterte sie über die Balustrade und ließ sich an einer stark verholzten Efeuranke hinab. Unten angekommen, setzte sie ihre Füße mit Bedacht nur dort auf, wo Pflanzen den Rasen überdeckten, um keine Spuren zu hinterlassen und niemanden auf ihren nächtlichen Ausflug aufmerksam zu machen. Vor der Terrassentür, die in die Bibliothek führte, hielt sie an und zog einen Draht aus der Tasche. Binnen weniger Sekunden hatte sie das Schloss geöffnet und huschte in den Raum.
Sie wartete einen Moment, damit ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Dann sah sie sich um und trat zu einem der bis zu den Decken reichenden Bücherregale. Versonnen fuhr sie mit dem Finger über die Rücken der prachtvoll gebundenen Werke und überflog die Titel. Milton, Shakespeare, Donne und Johnson – die Bibliothek des Duke of Carisbrook beherbergte fürwahr große Geister und große Ideen. Emerald fragte sich, wer von den
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