Liebe ist ein Kleid aus Feuer
schien, was er mit seiner unbedachten Aussage angerichtet hatte. »Das Reliquiar hat unsere Silberschmiede nicht verlassen. Und kein Fremder das alte Taubenhaus betreten. Das ist die Wahrheit, genau so, wie Bruder Lukas es gesagt hat.«
»Nicht ganz.« Es schien plötzlich kälter zu werden, als sich die Tür zur Sakristei bewegte und der Strick unversehens zu ihnen trat. »Darf ich dem Gedächtnis dieses jungen Mannes einmal kurz auf die Sprünge helfen?«
Mit schmalem Lächeln wandte er sich dem Pater zu.
»Du musst wissen, ehrwürdiger Vater, er war verschüttet. Seitdem kann er seinen Kopf nicht mehr richtig gebrauchen. Manche sagen auch, der Rammelsberg habe ihn gefressen – und als unverdaulich wieder ausgespuckt. Das solltest du ihm bei allem zugute halten!«
»Mein Kopf ist nicht mehr krank«, sagte Lando aufgebracht. »Ich kann sehr gut zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden.«
Der Strick kam Lando so nah, dass dieser unwillkürlich zurückwich. »Dann lügst du also aus freien Stücken?«
»Ich lüge gar nicht!«
»Hat nicht jüngst Eila das Kloster Corvey besucht, die Tochter des Ritters von Scharzfels, und das sogar für eine geraume Weile? Und hat sie sich dort vor den Brüdern nicht als Kanonisse des Stifts Gandersheim ausgegeben?«
»Eila war bei mir«, sagte Lando. »Das ist richtig. Und sie hat in Corvey den Schleier der frommen Schwestern getragen. Aber was soll das alles mit dem Reliquiar zu tun haben?«
»Nur Geduld – das wirst du gleich begreifen! Beantworte mir zunächst meine Fragen: Und hast du sie nicht auch heimlich in das alte Taubenhaus gebracht und ihr dort voller Stolz diese Arbeit gezeigt?«
Jetzt schwieg Lando.
»Hast du es getan oder hast du es nicht getan?«, beharrte der Strick. »Gestehe, Junge! Das ist das Beste, was du jetzt noch tun kannst.«
»In meinem Beisein hat Eila niemals die Werkstatt betreten«, sagte Bruder Lukas, der kaum noch stillstehen konnte, so aufgelöst schien er. »Das kann ich beschwören.«
»Unglücklicherweise warst du aber nicht immer dabei.« Der Strick fixierte Lando unbarmherzig, während er weiterredete. »Zum Beispiel in jener Nacht vor Eilas Aufbruch, als dein Gehilfe und die Grafentochter es schamlos auf den Gräbern eurer toten Brüder getrieben haben.«
»Wir waren nicht schamlos«, rief Lando. »Eila und ich gehören zusammen. Wir lieben uns!«
»Nackt in einem Klostergarten? Auf ehrwürdigen Grabstätten? Wie überaus fromm und keusch!« Der Strick vollführte eine kleine Drehung und fasste nun den Pater umso schärfer ins Auge. »Als sie endlich mit ihrer Unzucht fertig waren, hat er sie in das Taubenhaus geführt und ihr dort das Reliquiar gezeigt.«
»Und woher willst du das alles wissen?«, unterbrach ihn Pater Johannes. »Das klingt ja beinahe, als wärst du selber dabei gewesen.«
»Genauso verhält es sich auch, ehrwürdiger Vater! Ich war dabei, unfreiwillig natürlich, denn mein Fieber hatte mich länger als erwartet im Kloster festgehalten. Die erste Nacht, in der ich mich besser fühlte, bin ich nach draußen gegangen.«
Er hob seine Hände, deutete auf sein Gesicht.
»Und was mussten diese Augen dabei sehen? Ich habe alles beobachtet. Wenngleich ich damals natürlich noch nicht ahnen konnten, was wirklich vor sich ging. Doch nun fügen sich die Teilchen zusammen wie in einem kunstvollen Mosaik. Eila muss dabei die Zunge gestohlen haben, das liegt klar auf der Hand. Sie ist die Einzige, die dazu Gelegenheit hatte. Ob mit oder ohne Wissen ihres Liebhabers, wissen wir noch nicht. Aber auch das wird sich herausfinden lassen – sobald man sie nur eingehend genug befragt.«
»Eila – eine Diebin? Niemals!«, rief Lando. »Und wie hätte sie etwas stehlen können, das doch gar nicht vorhanden war?«
»Die Zunge befand sich in dem Reliquiar, als ich es zu euch gebracht habe«, donnerte der rote Mönch. »Daran gibt es keinerlei Zweifel. Mit frechen Lügen wirst du deinen Kopf also nicht aus der Schlinge ziehen können.« Er packte den Strick am Arm. »Aber wieso Eila?«, sagte er. »Wieso ausgerechnet sie?«
»Du kennst die Familie, der sie entstammt, kennst die Mutter. Und auch den Vater.« Der Strick klang vergnügt. »Vielleicht hat sie mehr von ihm, als uns lieb sein kann. Auf alle Fälle sollten wir zusehen, dass wir sie umgehend zu fassen bekommen. Vielleicht hat sie die Reliquie ja noch bei sich – was besser wäre als jedes Geständnis.«
Der rote Mönch wandte sich ab, als müsse er seine Gedanken
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