Liebe ist ein Kleid aus Feuer
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BURG SCHARZFELS
Das Falkenweibchen kreiste tiefer, aber es verweigerte den Faustappell, obwohl Eila sich alle Mühe gab. Sie trug den Lieblingshandschuh des Vaters, hatte Malin um frisches Hühnerklein angebettelt, das sie dem Vogel als Atzung darbot, doch alles Locken wollte nichts nützen.
»Komm, kleiner Habicht, komm, meine Kaja, komm!«, gurrte sie, während Rose, deretwegen sie sich auf dieses Spektakel überhaupt eingelassen hatte, eher unbeteiligt daneben stand.
Der Falke zog wieder höher, in weiten, langen Bögen.
»Fliegt da drüben sein Weibchen?«, fragte Rose. »Es ist auch braun und weiß gesprenkelt wie er, aber viel kleiner.«
»Nein, das ist der Terzel, das Männchen«, sagte Eila, den Tränen nahe, weil nichts von dem gelingen wollte, was sie sich vorgenommen hatte. Rose würde sie für eine Angeberin halten, ein Gedanke, der sie wütend und traurig zugleich machte. »Und alle Weibchen werden Habicht genannt, auch wenn es Falken sind.«
Wieder hielt sie die Atzung lockend hoch, dann warf sie sie kurz entschlossen in die Luft, und Kaja fing sie anmutig mitten im schnellen Flug.
»Ich glaube, jetzt macht sie sich ganz davon«, sagte Rose. »Schau, sie ist schon ganz hoch!«
Etwas Heißes schoss in Eilas Augen, aber sie wollte es sich nicht anmerken lassen und tat, als sei ihre Fibel aufgegangen.
»Vielleicht scheut sie vor den Männern, die dort von Osten angeritten kommen«, fuhr Rose fort. »Kann doch sein, oder? Siehst du sie auch? Sie sind zu dritt, und sie haben ein braunes Pferd dabei, auf dem niemand sitzt.«
Eila schaute auf und hätte beinahe zu atmen vergessen.
Kaja war plötzlich wieder da, schoss tiefer und zügelte die Geschwindigkeit, bis sie schließlich auf dem Arm des Mannes landete, der einen Apfelschimmel ritt und in einen Umhang aus grauen Wolfsfellen gehüllt war.
Zwei
MÄRZ 946
BURG SCHARZFELS
D ie Märztage hatten den ersehnten Frühlingsregen gebracht, der zunächst noch dünn und vermischt mit weißen Flocken fiel, dann aber immer dichter und immer gleichmäßiger zu rauschen begann und nach und nach die Schneekruste von den Feldern ins Dunkel der Wälder vertrieb. Laue Windstöße zunächst, die die Zweige beutelten und über die Äcker fegten, bis schließlich der erste windstille Tag anbrach und den Himmel in metallischem Blau erstrahlen ließ. In der Mittagssonne wurde es so warm, dass Eila in ihrem alten Filzumhang zu schwitzen begann. Trotzdem genoss sie es, ihren Rücken an den Vater zu schmiegen, der sie vor sich auf seinen Schimmel gesetzt hatte. Belle brauchte noch immer Schonung.
Eila ritt im Herrensitz, wie Raymond es ihr beigebracht hatte, und trug die Beinlinge von Gissels jüngstem Sohn, die um ihr Gesäß schlotterten, ihr aber ein nie zuvor gekanntes Gefühl von Freiheit schenkten. Wenn sie die Augen schloss, waren es nicht mehr kahle Bäume und Stoppelfelder, die an ihnen vorbeiflogen, sondern feindliche, panzerbewehrte Heere. Sie war kein Mädchen mehr, verdammt zum öden Frauenleben auf der Burg, sondern ein tapferer Knappe, der Raymond auf seinen Feldzügen begleitete. Jetzt würde sie nie wieder auf ihn warten müssen, sondern konnte von nun an für immer an seiner Seite sein.
»Hörst du die Drossel?«, drang seine Stimme in ihre Träumereien. »Dann wird es auch nicht mehr lange dauern, bis die anderen Singvögel zurück sind. Mein Habicht und ihr Gefährte werden sich freuen.«
Seit er zurück war, übte er regelmäßig mit Kaja, die inzwischen auf jeden seiner Befehle reagierte. Die Verbundenheit zwischen Mensch und Falken war so tief, dass oft schon die Andeutung einer Geste genügte. Er hatte Eila versprochen, sie demnächst mit auf die Beizjagd zu nehmen, und das Mädchen wurde nicht müde, ihn zu löchern, wann es denn endlich so weit sei.
Sie hatten das Dorf hinter sich gelassen und bereits auch das nächste, das durch ein dichtes Waldstück vom ersten getrennt war. Jetzt öffnete sich die Flur, und die Felder lagen wie ein Streifenmuster vor ihnen, einige, auf denen die frischen grünen Spitzen des Winterweizens herausragten, andere, die braun und bereit zum Pflügen für die Sommerfrucht waren, während auf der diesjährigen Brache Vieh durchgetrieben wurde, damit dessen Mist das Kleegras besser wachsen ließ.
Raymond saß geschmeidig ab, half Eila zwar noch beim Absteigen, schien sie aber alsbald ganz vergessen zu haben, so vertieft war er in das Gespräch mit seinem Meier, mit dem zusammen er die Zelgen abschritt. Als
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