Liebe ist ein Kleid aus Feuer
hob ihn heraus, drückte ihn an sich und atmete seinen warmen Geruch ein.
Vom Bett kam ein leiser Laut.
»Mutter!« Eila drehte sich zu ihr um, da stand plötzlich Ragna im Zimmer, einen Krug in der Hand, aus dem etwas Übelriechendes dampfte.
»Was tust du denn hier?«, zischte sie.
»Meine Mutter besuchen. Und meinen kleinen Bruder«, sagte Eila. »Wie lieb er ist, und wie weich! Wir brauchen einen schönen Namen, Mutter. Wie soll er denn heißen, dein jüngster Sohn?«
Ragna riss ihr das Kind regelrecht aus dem Arm, so beherzt packte sie zu, und der Kleine begann sofort zu brüllen.
»Da siehst du, was du angerichtet hast! Jetzt stör uns nicht länger! Ich lass dich holen, sobald es besser passt.«
Eila fand sich vor der Tür, bis sie es noch richtig begriffen hatte. Jetzt hörte sie, wie der Schlüssel zweimal umgedreht wurde. Wut stieg in ihr hoch und ein kaltes, klammes Gefühl, das sich schnell ausbreitete.
»Wieso schließt du sie ein?« Sie hämmerte gegen die Tür. »Was hast du da drinnen zu verbergen?«
»Nichts«, drang Ragnas Stimme dumpf durch das Holz. »Verschwinde endlich! Wir haben zu tun.«
Eila lief zurück zu Rose, weckte sie und berichtete das eben Erlebte in wirren, erregten Halbsätzen, denen die Freundin geduldig lauschte.
»Vielleicht hat sie ja Recht, trotz allem«, sagte Rose schließlich, nachdem Eila erschöpft geendet hatte. »Mutter und Kind sind geschwächt nach der Geburt und brauchen Ruhe.«
»Hältst du jetzt zu ihr oder zu mir?«, fragte Eila aufgebracht.
»Zu dir natürlich«, versicherte Rose. »Das weißt du doch. Aber am wichtigsten ist, dass dein kleiner Bruder lebt. Wie es aussieht, hat er bestimmt mächtigen Hunger. Der wird schnell wachsen und gedeihen, glaube mir!«
Doch auch während der nächsten Tage änderte sich nichts. Odas Kemenate wurde von Ragna wie von einem bissigen Höllenhund bewacht; die Moorfrau ließ gerade noch eine Magd ein, um Essen aufzutragen, die Wäsche zu wechseln und Waschwasser zu bringen, sonst blieb die Tür verschlossen. Oda hütete das Wochenbett, angeblich zu schwach, um auch nur einmal aufzustehen, und der Kleine blieb ganz und gar unter Ragnas Aufsicht.
Nach und nach stellte sich sogar so etwas wie Gewohnheit ein: Eila pochte an die Tür und wurde abgewiesen. Ragna gestattete ihr allenfalls einen kurzen Blick in die Kemenate, dann musste das Mädchen wieder abziehen, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich abwechselnd bei Rose oder Malin zu beklagen.
»Das Kind muss getauft werden!«, verlangte die alte Dienerin. »Und genau das versucht diese Schlange zu verhindern – damit es ihr für ihr Hexenwerk dienlich ist, falls ihm etwas zustoßen sollte.«
»Aber ihm wird nichts zustoßen«, sagte Eila scharf. »Ihm nicht! Getauft werden muss er freilich, da hast du ganz Recht. Und zu lange damit warten sollten wir auch nicht mehr.«
Sie besprach sich mit Bodo, dem Kämmerer. Dem schienen die Sitten ebenso wenig zu gefallen, die mit Ragna Einzug gehalten hatten, und er brachte tatsächlich das Kunststück fertig, den Priester aus einem Nachbarweiler auf die Burg zu bringen.
Ragna schäumte vor Wut, als Bodo und Eila gemeinsam anklopften und sie vor vollendete Tatsachen stellten. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als den Kleinen in Eilas Arme zu legen. Er kam der Schwester leichter vor als beim ersten Mal. Sein rundes Gesicht war mit Grind überzogen, die dünne Haut über den Lidern so durchsichtig, dass man jedes Äderchen sehen konnte.
»Was hast du mit ihm angestellt?«, sagte Eila empört. »Ich spüre ihn ja kaum noch, so leicht ist er geworden!«
»Sie nehmen alle ab in den ersten Tagen«, sagte Ragna. »Das ist nichts Ungewöhnliches. Außerdem scheint er die Muttermilch nicht zu vertragen. Kann sein, dass wir auf Geißenmilch ausweichen müssen. Und bring ihn ja schnell zurück! Ich will nicht, dass er mir noch krank wird.«
Eila wandte sich ab und ging mit dem Kleinen zum Bett der Mutter. Sie erschrak, als sie Oda sah. Das blonde Haar war stumpf und glanzlos, die Haut gerötet, die Pupillen waren übergroß. Sie starrte Eila an, schien sie aber kaum zu erkennen.
»Was ist mit dir, Mutter? Hast du Fieber?«
»Kein Fieber.« Odas Lippen waren spröde und weißlich. »Nur Durst. Immer so großen Durst.« Ihre Stimme klang heiser. »Aber wenn ich trinke, dann kommen sie, strecken ihre Arme nach mir aus und rufen …«
»Wer ruft dich, Mutter?«
Oda warf den Kopf unruhig auf dem Kissen hin und
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