Liebe ist keine Katastrophe
Shelby!„
„Komm mit.„
„Ich komme gleich nach. Geh jetzt!„
Aber er selbst lief in die entgegengesetzte Richtung und schaute sich nach Kunden um. Während er umherging, rief er über den Lärm der Sirenen hinweg Anweisungen. Shelby fühlte sich hin und her gerissen, aber sie ging zur Kellertür und hielt sie auf. Sie forderte die Kunden zur Eile auf, aber wies sie auch an, Ruhe zu bewahren. „Vorsicht, Stufe … bitte zügig weitergehen … bis zu den Säulen … bitte ganz nach hinten durchgehen … bitte, bewahren Sie Ruhe.„
Sie zählte die Menschen, die an ihr vorbeigingen, und hoffte, es würden nicht allzu viele sein. Der Ernst der Lage war ihr bewusst.
Zehn … zwanzig … dreißig … vierzig.
Es war mehr Betrieb als sonst im Laden gewesen, weil vorhin die Registrierkassen abgestürzt waren. Der Gedanke quälte sie, dass einige Leute jetzt zu Hause in Sicherheit wären, wenn sie nach dem Stromausfall den Laden geschlossen hätte.
Dann schlug ihr plötzlich das Herz bis in den Hals. Emory . Wo war er?
Sie behielt ein gezwungenes Lächeln auf dem Gesicht, als immer mehr Kunden in den Keller des Gebäudes hinabstiegen, einige stützten einander. Mitch blieb bei ihr stehen und wollte, dass sie mit ihm hinunterging, aber Shelby schüttelte den Kopf. „Ich warte noch auf meinen Vater.„
Offenbar erkannte er die Entschlossenheit in ihrer Stimme, denn er ging weiter. Als der letzte Kunde unten war, schlug Shelbys Herz schneller. „Daddy?„, rief sie. Die Sirenen heulten immer noch – es war der entsetzlichste Ton, den sie je gehört hatte.
Bis sie ein neues Geräusch hörte, das noch viel lauter war als die Sirenen. Es war ein grauenvoller, dröhnender Lärm, ähnlich dem einer Lokomotive. Ein Ton, den sie schon oft von Tornadoüberlebenden beschrieben bekommen hatte.
„Daddy!„, schrie sie. „Daddy, schnell!„ Ihre Beine zitterten vor Erleichterung, als er um die Ecke zu ihr gerannt kam.
„Das waren alle„, sagte er. „Geh! Geh!„
Sie stolperte die Treppe hinunter, und er war gleich hinter ihr, dann schlug er die Tür hinter ihnen zu.
Die Menschen saßen zusammengekauert auf dem Boden rund um die Tragebalken, die die Decke stützten. Mitch verteilte Taschenlampen, deren Licht deutlich die Angst in den Gesichtern von jedem Mann und jeder Frau zeigte. Einige weinten ganz offen, andere beteten laut für ihre Lieben und die Sicherheit der Stadt.
Shelby setzte sich neben ihren Vater und er legte den Arm um sie. Aber sie war außer sich vor Sorge um Emory. Ringsum erklangen Schreie, als das elektrische Licht ausging und man nur noch die runden Lichtpunkte der Taschenlampen sah. Über ihren Köpfen ächzte das Gebäude, dann hörte man ein Reißen und Knirschen; Holz splitterte und Glas zerbrach. Die Mauern des Kellerraums erzitterten, Gegenstände flogen aus den Regalen und fielen krachend auf den Boden. Shelby spürte ihren eigenen Herzschlag nicht mehr. Sie fühlte den Mund ihres Vaters an ihrer Stirn. Er bewegte die Lippen, und sie wusste, dass er betete. Sie war so starr vor Angst wie nie zuvor in ihrem Leben.
Dann kam wieder ein lautes, schreckliches Krachen, gefolgt von einer Explosion, und der Treppenaufgang füllte sich mit Trümmern. Schutt regnete auf sie herab. Wenn die Trägerbalken nachgaben, würden sie lebendig begraben werden.
Shelby fragte sich, ob sie jetzt wohl sterben musste … und dachte, wie schrecklich es wäre, wenn sie umkam, bevor sie Emory sagen konnte, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Dann würde er nie erfahren, wie sehr sie ihn geliebt hatte.
7. KAPITEL
Emory lag mit dem Gesicht nach unten in einem flachen Graben unweit des Wasserturms und verschränkte die Hände auf dem Hinterkopf. Noch nie im Leben hatte er so schreckliche Angst gehabt. Er war total erleichtert gewesen, als er die alten Sirenen gehört hatte, aber dann hatte es nur noch geheißen, so schnell wie möglich auf sicheren Boden zu gelangen. So schnell er konnte, war er die Leiter hinuntergeklettert und in den Graben gehechtet. Der Tornado wälzte sich wie ein Schnellzug auf ihn zu, er hörte das grauenvolle Tosen und hatte entsetzliche Angst vor dem, was nun geschehen würde. Der Boden wurde erschüttert und Steinbrocken regneten auf ihn herab. Er konnte hören, dass Bäume entwurzelt wurden, und befürchtete, von einem von ihnen erschlagen zu werden.
Seine Gedanken waren bei Shelby und seinem Dad. War sein Vater rechtzeitig vor dem Sturm nach Hause gekommen? Wenn ja, war es dort
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