Liebe Ist Nichts Fuer Feiglinge
mir, wie der Markt funktionierte, und in den Jahren vor seinem Tod beantwortete er alle meine Fragen über unseren Familienstammbaum. Außer uns beiden schlug niemand das Familienstammbuch auf – ich hatte das Gefühl, es gehörte nur Grandpa und mir. Ich liebte ihn so sehr, dass alles, was ihn interessierte, auch mich faszinierte.
Als wir unsere Ausrüstung in den Truck von Tuckers Onkel laden, sage ich zu ihm: »Warte nur ab, bis du siehst, was ich alles für unser erstes großes Camping-Wochenende vorbereitet habe.« Ich habe eine schicke Plastikhülle für meinen Angelschein gekauft, damit ich ihn immer bei mir tragen kann, außerdem habe ich ein rustikal wirkendes, reizendes kleines Bed and Breakfast gebucht und mir sogar ein Paar Wanderstiefel gekauft. (Um zu demonstrieren, mit welcher Begeisterung ich mich an seiner Art zu leben versuche, habe ich ihm ein Foto meiner neuen Wanderstiefel gemailt und daruntergeschrieben: Die sind süß, was? Er schrieb zurück, wie süß sie erst aussehen würden, wenn sie eine Lehmkruste hätten, und da erst drang die gnadenlose Realität unseres Abenteuers in mein Bewusstsein. Oh ja , antwortete ich, sie werden wohl schmutzig werden. )
Unsere unterschiedliche Einstellung zur Erhaltung der Schönheit neuer Wanderstiefel überschattet das Wochenende. Ein mächtiges Gewitter erwartet uns, als wir vor dem Bed and Breakfast halten. Ich erkläre, dass es bestimmt Spaß macht, während eines Gewitters im Wald zu sein … aber Tucker entgegnet, dass wir dann nicht angeln können. Die ältere Frau, der unsere Holzhütte gehört, hat jeden Winkel mit Rüschen und Nippes gefüllt, als wohnte eine Kartenlegerin aus den fünfziger Jahren dort, mit Porzellanpuppen auf den Regalen und einer unheimlich realistischen, ein Meter hohen Statue eines kleinen Jungen, der hinter einem Baum hervorspäht.
»Das ist … interessant?«, sage ich.
»Wenn er zuschaut, tun wir es nicht«, erwidert Tucker.
Prompt trage ich die Statue ins Badezimmer und stelle sie neben die Toilette.
Hat er gerade gesagt »wir tun es«?
In unseren Regenmänteln setzen wir uns wieder in den Truck und erkunden den alten Ortskern. Es gibt nur eine einzige Straße, auf der sich die Autos im Schneckentempo fortbewegen. Ein Grasstreifen teilt die beiden Fahrtrichtungen. Rechts sehe ich eine Kunstgalerie, die eigentlich ganz modern und cool aussieht; auf der linken Seite entdeckt Tucker eine Kneipe, die für ihre Burger berühmt ist und so aussieht, als befände sich dort auch ein Fernseher. Versuch dich an seinem Lebensstil , ermahne ich mich, als ich sehe, wie ein Mann in der Galerie die Jalousien herunterlässt.
Tucker hat Kopfschmerzen. Ich schlage vor, dass wir am besten essen gehen, damit er etwas Warmes in den Magen bekommt. Im Lokal herrscht viel Betrieb, und ich bestelle mir ein Bier. Tucker jedoch beklagt sich über den Lärm und sagt, er habe das Gefühl, seine Nebenhöhlen würden explodieren. Als die Kellnerin mit unserem Essen kommt, bitten wir sie, es einzupacken, und ich setze mich ans Steuer und fahre zur nächsten Apotheke. »Hier, Süßer, schluck sie mit Wasser.« Ich reiche ihm die Tabletten, die ich gekauft habe. »Heute Nacht kannst du bestimmt gut schlafen.«
»Hoffentlich«, antwortet er.
Ich fahre uns zur Pension zurück und schalte das Fernlicht ein, um die riesigen Elche zu vertreiben, die hier angeblich nachts auf der Straße spazieren gehen. Auch wenn das Medikament gegen die Erkältung ihn benommen macht, können wir heute Nacht wenigstens kuscheln, denke ich bei mir. Ich führe ihn in die Hütte und verriegele die schwere Tür hinter uns. Tucker legt sich bäuchlings aufs Bett und bittet mich, ihm den Rücken zu kratzen, weil es ihn entspannt. Als er eingeschlafen ist und vor sich hin schnarcht, ziehe ich meinen Flanell-Schlafanzug an (sexy, ich weiß, aber es hat ja keinen Sinn, die dünne Spitzenwäsche herauszuholen), wasche mir das Gesicht und putze mir die Zähne. Bevor ich ins Bett gehe, wärme ich mich noch mit einer Tasse Tee auf.
Ich wünschte, ich hätte ein Buch eingepackt.
Ich rutsche zu Tucker und flüstere ihm ins Ohr: »Süßer, ich habe Tee gekocht. Möchtest du welchen?«
Er schluckt seine Spucke runter und schüttelt den Kopf. Ich schlüpfe neben ihm unter die Decke und blättere in einer Pferdesport-Zeitschrift. Ich hatte so gehofft, dieses Wochenende reiten zu können. Um mich zu unterhalten, stelle ich mir vor, ich sei die Heldin in einem Liebesroman und säße auf
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