Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
und sah Ev in das gelöste, schlafende, bleiche Gesicht. Lange, dunkle Wimpern. Die Haare wie zerrupfte Goldfäden. Eine schmale Nase. Ein Grübchen im runden Kinn, nur angedeutet. Lippen, die jetzt wieder voll waren, nicht mehr die dünnen, roten Striche, die das Gesicht zerteilten wie eng beieinander liegende Narben. Darunter das über den Brüsten aufgerissene Kleid mit dem Stofflappen, mit Leim auf den BH geklebt.
    Pierre lehnte sich wieder zurück, steckte sich die glattgestrichene Zigarette an und inhalierte den Rauch. Wenn Madame Coco das sah, würde sie wieder losdonnern. Sie hatte einen Bruder gehabt, der an Lungenkrebs gestorben war.
    Ev … dachte Pierre. Eva Bader, aus Irgendwo in Deutschland. Mit einem Kind im Bauch. Das klingt ordinär, aber es ist die glatte Wahrheit. Warum soll man romantisch sagen: »Unter dem Herzen?«
    Ev … was machen wir jetzt mit dir? Nicht heute, da schläfst du, aber morgen und übermorgen und in all den folgenden Tagen? Ich bin ein ganz armer Hund, ich werde dich ernähren können, wie ein Clochard seinen Hund ernährt. Ab und zu eine Handvoll Fressen. Nein, Ev, ich bin kein Faulenzer, bestimmt nicht. Ich werde sehen, ob ich in den Markthallen, morgens von vier bis sieben, einen besseren Job bekomme, als Säcke zu schleppen. Aber weißt du, wie es da zugeht? Da stehen sie Schlange, die Pennbrüder und Arbeitslosen, man kann sie sich aussuchen, ein moderner, gespenstischer Sklavenmarkt, jeden Morgen, wenn es noch dunkel ist. Wer macht's für vier Francs? Was sind vier Francs? Vier Francs für eine Stunde Schlepperei. Aber sie können die Preise diktieren, es stehen ja genug herum, die es für vier Francs machen. Trotzdem will ich's versuchen. Vielleicht bei Monsieur Biquot. Ein Südfrucht-Exporteur. Da war neulich die Stelle eines Gabelstaplerfahrers frei, ich kam nur sieben Minuten zu spät.
    Und malen werde ich, Ev. Malen, was die Leute wollen. Ein Reh im Wald, oder ein Schiff auf brausender See, oder eine Berghütte in schroffen Felsen. Jeden Kitsch werde ich malen, wenn er sich verkaufen läßt. Ich werde die Werbeagenturen abklappern wie eine Vormittagshure die Parks und alles annehmen, wenn nur ein Franc dabei herausspringt. Ev, ich werde uns durchbringen, wir werden weiterleben … mehr kann ich dir nicht versprechen.
    Er zerdrückte die Zigarette auf einer Untertasse, stand auf, holte aus der linken Küchenschranktür die große Blechdose und suchte sich vier Plätzchen heraus. Zwei mit Zuckerguß, eins mit Schokolade und eins mit bunten Zuckerkügelchen.
    Was soll das, dachte er, als er in das erste, knochenharte Plätzchen biß. Es zerkrachte zwischen seinen Zähnen. Ostern war lange vorbei, natürlich. Ich mache Pläne mit Ev. Morgen wird alles anders sein. Morgen ist sie ausgeschlafen, wird ihre Lage nüchtern betrachten und davonlaufen.
    Es war ein Gedanke, der ihn plötzlich innerlich unruhig machte, und der ihm sogar weh tat –
    *
    Nicht umsonst ging man Madame Coco in der ganzen Umgebung aus dem Weg, wenn sie wütend war. Abgesehen davon, daß man mit ihr nicht diskutieren konnte, wenn sie eine festgefaßte Meinung hatte – und sie hatte immer recht, weil sie die Verkörperung des gesunden Menschenverstandes war –, es gab auch niemanden, der sich bei allem persönlichen Mut bereit erklärte, Cocos wogende Erregung zu bremsen. Man kann ein Meer eindämmen oder eine Lawine umlenken, Madame zu besänftigen, ohne sie zu erschlagen, war unmöglich.
    Monky hatte das Pech, mit dem Rücken zur Tür zu stehen, als sie aufgestoßen wurde. So hörte sie nur, daß jemand hereinkam, reckte sich wie eine in der Sonne liegende Katze und bot damit ein Bild, das jeden Mann – Alter spielt da keine Rolle mehr! – in Verzückung gebracht hätte. Sie war nackt, und ihr wirklich schlanker, makelloser, langbeiniger, schmalhüftiger, zartgliedriger, weißhäutiger Mannequinkörper schimmerte wie mit flüssigem Glas bestrichen gegen die helle, vom blauen Herbsthimmel gefärbte große Scheibe, die die Hälfte des schrägen Daches ersetzte. Das einzige, was störte, war ein langer häßlicher Kamin des Nebenhauses, der in das Bild ragte, mit einem verrosteten, beim Drehen schauerlich quietschenden Rauchaufsatz.
    »Pierre, mon Toutou, freust du dich? Ich hatte keine Lust, zu dem dummen Bioggia zu gehen. Hast du ein schönes Bild gemalt?« fragte sie.
    »Toutou freut sich nicht!« sagte Madame Coco. Ihre Stimme dröhnte in dem erbärmlich möblierten Raum. Monky fuhr mit einem

Weitere Kostenlose Bücher