Liebe ist stärker als der Tod
Herbstnächte waren naß und kühl.
»Sie schimpfen wie unsere Marktfrauen in Kalytsch, Madame. Es ist direkt heimatlich.«
»Sie sind in Paris geboren, Sie verrosteter Topf. Zwanzig Prozent. Davon kassieren Sie zehn Prozent für sich und zehn bleiben für Ihre Kollegen.«
»Geschäfte werden immer auf der Basis der Gegenseitigkeit gemacht, Madame. Es sind die gesündesten Geschäfte. Ein guter Partner ist mehr wert, als eine Herde von Hyänen, die nur auf den Tod des einzelnen wartet.« Fürst Globotkin sah Madame Coco zufrieden an. »Zwanzig Prozent von allen Einnahmen aus den Taxi-Ausstellungen. Es wird für Pierre de Sangries das Geschäft seines Lebens werden. Wenn man bedenkt, daß wir vielleicht andere Gruppen nachziehen könnten … bei Zwölftausendfünfhundert Taxis in Paris –«
»Ungeheuerlich, Fürst! Sie haben recht.« Madame setzte sich ihm gegenüber und begann zu rechnen. Man sah es ihr deutlich an … ihre Augen arbeiteten wie die Zahlenkolonne einer Rechenmaschine. Sie klickten ununterbrochen. Zweiundvierzig Taxis mit je einem Bild für hundert Francs. Das ist ein Vorzugspreis. Abzüglich zwanzig Prozent wären das, wenn man sie alle verkauft (und daran gibt es keinen Zweifel bei dieser Methode), zunächst dreitausenddreihundertsechzig Francs. Wenn man allerdings bedenkt, daß ein normales Essen im Taillevant fünfzig Francs kostet und in Maxim's das Dreifache, dann sind hundert Francs für ein Bild von Pierre de Sangries eine Frechheit. Zweihundert Francs müßte die unterste Grenze sein, bei zweiundvierzig Taxis also sechstausendsiebenhundertzwanzig Francs netto.
»Sie rechnen um die Ecke, Madame«, sagte Wladimir Andrejewitsch ruhig.
»Sie wissen gar nicht, was ich rechne, Fürst.«
»Kalkulieren Sie ein, daß wir mit einem vollkommenen Umschlag von vier Wochen rechnen. Länger hängen die Bilder nicht in unserem Wagen. Garantiert!«
»Zweihundert Francs pro Bild –«, sagte Madame laut. »Davon Ihre verdammten zwanzig Prozent – also für uns hundertsechzig Francs! Sonst keine Diskussion mehr.«
»Einverstanden. Das ist die unterste Grenze.« Wladimir Andrejewitsch erhob sich elegant. »Ich werde die Bilder taxieren und die Preise festlegen. Es kann sein, daß Gemälde darunter sind, die wir unter fünfhundert Francs nicht weggeben.«
»In ein paar Jahren werden sie Tausende kosten, Fürst.«
»Wir müssen die Gegenwart aufreißen, Madame.« Er trank seinen Kaffee aus und zerrte den Schal fester um seinen Hals. Draußen regnete es stärker, in dem Abflußrohr neben der Küche gluckerte das Wasser ununterbrochen. »Es wird sich nur eine Schwierigkeit herausstellen, Madame.«
»Das Steueramt.«
»Wer jahrelang gehungert hat, ohne daß sich der Staat darum gekümmert hat, erwirbt sich das Recht, einmal satt zu sein, ohne daß der Staat wieder mitfrißt. Das ist die Moral unter den Brücken, wir sollten sie übernehmen. Oder kennen Sie eine einzige staatliche Stelle, die von Pierre de Sangries ein Bild gekauft hat oder kaufen würde?«
»Nein. Ich sagte es schon. Wenn er mit Rotze malen würde … vielleicht.«
»Die große Schwierigkeit: Kann Pierre für genug Nachschub sorgen?«
»Mein Gott!« Madame Coco schlug die Hände vor den Mund, dann wühlte sie sich in ihre roten Haare und starrte Fürst Globotkin hilflos an. Da war sie … zum erstenmal in ihrem bewegten und an Tatkraft so reichem Leben hilflos.
»Nie«, sagte sie.
»Was heißt nie?«
»Pierre wird nie Bilder am Fließband malen. Pierre ist ein Künstler –«
»Amen! Blasen wir alle Kerzen aus«, sagt Wladimir Andrejewitsch andächtig. »Das habe ich befürchtet. Er malt nur, was er empfindet …«
»So ähnlich, Fürst.«
»Und Ev könnte ihn nicht dazu bringen, sein Genie zu industrialisieren?«
»Vielleicht. Aber ich traue Ev nicht zu, daß sie so etwas tut.«
»Wir sitzen auf dem trockenen, Madame.« Wladimir Andrejewitsch ging zur Tür. Jetzt war er müde, sehnte sich nach seinem Bett, und selbst Madames Kaffee hielt ihn nicht länger auf den Beinen. »Theoretisch haben wir zweiundvierzig Bilder verkauft, und die sind vorhanden. Dann ist die Sache blutleer. Ab und zu mal ein Bild … das ist kein Geschäft. Wollen Sie mit Pierre reden, Madame? Oder soll ich es tun?«
»Überlassen Sie es mir.« Madame Coco versank in tiefe Nachdenklichkeit. Sie ließ Fürst Globotkin ohne Gruß gehen, starrte auf den halb geleerten Kuchenteller und wälzte das Problem hin und her. Wie man es auch betrachtete und
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