Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
an. Der Hund blieb sitzen, in seinem Rücken war die Wärme aus dem Kellerfenster, er wollte sie nicht verlieren. Aber sein Kopf streckte sich etwas vor, er hob den Hinterkörper etwas an und begann mit etwas, das ein Schwanz sein sollte, traurig zu wedeln.
    Pierre kam zurück und hielt den Schirm über Ev und den Hund. »Ein Musterexemplar vorurteilsloser Lebensgemeinschaften«, sagte er. »Vom linken Ohr bis zur Schwanzspitze ist von jedem Hund etwas zurückgeblieben. Eine lebende Rassekunde.«
    »Er ist traurig«, sagte Ev.
    »Und wir werden einen Schnupfen bekommen, wenn wir hier länger stehen.«
    »Auch Hunde bekommen Schnupfen. Sie husten wie Menschen.« Sie strich dem nassen Elendsbündel über den runden Kopf. Der Hund rührte sich nicht. »Warum sitzt er hier im Regen, Pierre?«
    »Frag ihn mal. Vielleicht ist es seine Art, ein Bad zu nehmen?«
    »Wenn er weinen könnte, würde er jetzt weinen …«
    »Aber er weint nicht, er wackelt mit dem Schwanz.« Er zog Ev aus der Hocke hoch und faßte sie unter. »Ich habe den Verdacht, daß sich meine Schuhe auflösen, wenn sie länger auf einer Stelle im Regen stehen. Willst du den Hund zum Essen einladen? Bei Augustine gibt es heute Blanquette de veau au riz. Das ›Gebetbuch‹ hat es an Madame durchtelefoniert. Monsieur Hund, mögen Sie Kalbsragout?«
    »Er ist einsam –«, sagte Ev. »Und du machst dich lächerlich über ihn. Du hast nie Einsamkeit erlebt …«
    Sie gingen weiter, betraten das Bistro, aber der Abend war irgendwie zerstört. Einsamkeit, dachte Pierre. Wer will mir etwas von Einsamkeit erzählen? Ich war fünf Jahre alt, als ich zwischen den Gleisen des Gare du Nord hockte und mich Jean-Claude, der Bettler, fand. Ist man mit fünf Jahren schon ein Mensch? Ich mußte einer sein, ich wurde nicht gefragt, ob ich fror oder naß war, ob ich Hunger hatte oder Sehnsucht nach einer streichelnden Hand.
    Sie aßen lustlos, bezahlten bei Madame Augustine, die ihre Rechnungen immer auf die Papiertischtücher schrieb und traten wieder auf die Straße.
    Der Hund saß jetzt neben der Tür und schaute sie aus seinen braunen, runden Augen mit einer Frage an, die selbst Pierre nicht übersehen wollte.
    »Hund«, sagte er, bevor Ev eingreifen konnte. »Such dir einen anderen Platz. Geh hinüber zum Boulevard. Was du hier triffst, ist genau so elend dran wie du.«
    Der Hund senkte den Kopf. Das Wasser lief ihm aus dem Fell, und als Ev und Pierre weitergingen, bewegte er die kleinen, aber stämmigen Beine, der walzenförmige Körper kam in Bewegung, und er trottete den beiden nach, jetzt in voller Größe, ein kleines Monstrum an Häßlichkeit mit einer großen Sehnsucht im Herzen nach Liebe.
    »Geh, Hund!« sagte Pierre ein paarmal, drehte sich um und wedelte mit der Hand. »Geh weg!« Dann schielte er zu Ev, die in einer merkwürdigen Steifheit neben ihm schritt und schwieg.
    »Sag du etwas zu ihm, Ev«, sagte er. »Vielleicht versteht er dich.«
    »Du willst ihn nicht, das merkt er.«
    Wenn ich nicht verstanden habe, wurde ich getreten, dachte Pierre. Das begriff ich schnell, und ich war fünf Jahre alt. Ein Bastard wie dieser Hund.
    Sie gingen weiter, stumm, zusammengedrängt unter dem Schirm, es regnete heftig, und hinter ihnen trottete der häßliche Hund in der Spur ihrer Schritte.
    »Sag etwas, Ev!« knirschte Pierre. Ihr Schweigen war erdrückend.
    »Was soll ich sagen?« Sie starrte geradeaus. Vor ihnen lag die Einmündung der Rue Princesse. »Es ist nur ein Hund. Vielleicht nimmt er sich nachher das Leben.«
    Es war, als stoße man Pierre einen glühenden Pfahl vom Schädel durch den ganzen Körper. Mit einem Ruck blieb er stehen und warf sich herum. Der häßliche Hund bremste erschrocken und stemmte die Beinchen in die Nässe. Seine Augen suchten Ev, und er begann vor Angst zu zittern.
    »Komm, Hund!« sagte Pierre, bückte sich und nahm das nasse Knäuel Haare auf den Arm. »Ein französischer Hund kapituliert nicht.«
    »Er hat auch keinen Arc de Triomphe«, sagte Ev.
    »Wir wollten nie mehr darüber sprechen, Ev«, sagte Pierre heiser.
    »Es war auch das letztemal, ich verspreche es dir.« Sie streckte die Arme aus, nahm ihm den Hund ab, und dieser Ausbund an Häßlichkeit schmiegte sich an ihre Brust, leckte ihr dankbar die Hand und gab einen schwachen, röhrenden Ton von sich als Ausdruck höchsten Wohlbehagens.
    »Madame wird dir eine große Schüssel Fressen geben«, sagte Ev und drückte den runden Kopf an sich. Pierre bezweifelte das, aber er

Weitere Kostenlose Bücher