Liebe kommt auf sanften Pfoten
vergessen, die sie gebraucht hatte, um Toby so weit fertig zu machen, während er selbst unter der Dusche gestanden hatte.
»War das Peter? Er klingt so fröhlich«, stellte Juliet fest. »Ich dachte, Toby zahnt gerade?«
»Peter genießt den Luxus von Ohrstöpseln.« Louise folgte ihm in die Küche und vermied dabei, im Flur ihr Spiegelbild zu betrachten. »In zwanzig Minuten bin ich da, ja? Komm bitte nicht zu spät. Heute ist mein erster Arbeitstag nach der Babypause, und ich weiß ganz genau, dass alle nur darauf warten, dass ich zu spät und mit Milchflecken übersät dort auftauche. Und jetzt komm, wir müssen los.«
»Wann kann ich Coco wieder zu Mum zurückbringen?«
»So gegen fünf Uhr? Dann sollte ich eigentlich wieder hier sein.« Louise ignorierte den jammernden Unterton in Juliets Stimme und sammelte die mit verschiedenen Farben gekennzeichneten Taschen zusammen: Tobys Spielzeug, sein Essen, Kleidung zum Wechseln. All das hatte sie in der vergangenen Nacht vorbereitet, während Peter oben Online-Games »recherchiert« hatte. »Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
»Kein Problem. Schließlich könnte ich es mir niemals verzeihen, wenn Toby versehentlich ein Hundehaar in seinem Joghurt haben sollte.«
»Niemand …«
»Nicht alle Hunde sind sabbernde Mörder, weißt du?«
»Das habe ich auch gar nicht behauptet«, widersprach Louise ihr. Weder hatte sie die Zeit noch die Lust, sich Juliets Rede zur Verteidigung des Hundewesens anzuhören, doch sie merkte, wie sie immer weiter in eine ihrer gewohnten Zankereien verwickelt wurde. »Aber Mum kann eben nicht überall gleichzeitig sein. Sie würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn Toby Coco einen Buntstift in die Schnauze rammen würde oder dergleichen. Hör mal, warum nimmst du das eigentlich so persönlich? Das war gar nicht persönlich gemeint.«
»Tu ich nicht!«
»Ist es etwa, weil ich Mum und nicht dich gefragt habe, ob sie babysitten kann?«
»Nein!« Juliet klang entsetzt. »Es ist nur … ich …«
Am anderen Ende der Leitung entstand eine Pause. Louise hätte sicherlich genauer hingehört, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt gewesen wäre, gleichzeitig den Hörer zu balancieren, Toby aus seinem Hochstuhl zu befreien und Peter zu signalisieren, dass die Spülmaschine ausgeräumt werden musste, bevor er das Haus verließ. »Dann ist ja alles in Ordnung«, erwiderte sie stattdessen. »Dann sehen wir uns in einer Viertelstunde bei Mum.«
Juliets viktorianischer Altbau befand sich in einem Außenbezirk von Longhampton namens Rosehill – ein Stadtteil, in dem es außer einem Pub und einer Kirche eigentlich kaum etwas anderes gab. Das ursprünglich eigenständige Rosehill war damals in Zeiten von Reichtum und Wohlstand eingemeindet worden, als Longhampton immer größer wurde und vor dem Krieg zeitweilig das Marmeladen- und Obstkonserven-Zentrum der Midlands gewesen war.
Ihre Eltern lebten am anderen Ende der Stadt in einem herrschaftlichen Neubau, der über, wie ihr Vater es nannte, »Garagen in bescheidener Größe« verfügte. Dort hinzufahren bedeutete, sich durch Longhamptons kompliziertes Einbahnstraßensystem hindurchzukämpfen, was Juliet eigentlich nur nachts gern tat. Nachts konnte sie durch die leeren Straßen streifen und sich von den Verkehrszeichen den Weg um die schmucke Stadthalle aus Backstein und den Park mit seinen steifhalsigen Tulpen, über die Ben immer gelacht hatte, weisen lassen. Während der Hauptverkehrszeit allerdings waren die Straßen stets mit ungeduldigen, wütenden Autofahrern verstopft.
Juliet wartete immer noch am ersten von fünf Kreisverkehren und hatte sich seit geschlagenen zehn Minuten keinen Meter von der Stelle bewegt. Der Spannungskopfschmerz, der eingesetzt hatte, sobald Juliet den Schutz ihres Zuhauses verlassen hatte, wurde immer schlimmer, da das Radio sie daran erinnerte, dass sie nicht nur zu spät, sondern viel zu spät kommen würde. Ihre Knöchel traten weiß hervor, so klammerte sie sich ans Lenkrad.
Der Kastenwagen heizte sich auf und schien nach und nach Spuren von Bens typischem Geruch freizugeben. Seife. Erde. Schweiß. Aber es gab keine Möglichkeit, irgendwo an den Straßenrand zu fahren und zu weinen, wie sie es nachts tun konnte. Juliet schluckte schwer, drehte das Radio lauter und zwang sich dazu, mitzusingen, um nicht mehr denken zu müssen.
Es war sicherlich nicht schön, aber definitiv eine Besserung im Vergleich zu den Wochen, als sie nicht einmal mehr die Autotür
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