Liebe kommt auf sanften Pfoten
sie zuckte nicht zurück. Stattdessen beugte sie sich vor und küsste ihn nun ihrerseits auf die Wange, mehr als eine Art Experiment. Seine Haut fühlte sich weich an, ein wenig rau, dort wo sich die ersten Bartstoppeln zeigten. Anders.
Ihre Blicke trafen sich, als sie zurückwich. Mark beugte sich wieder vor – eine Sekunde, bevor sie es tat; sie stießen mit den Nasen zusammen, und seine Lippen pressten sich fest auf die ihren. Warm und kräftig, aber geschlossen. So verharrten sie einen Augenblick, als gäbe es beim nächsten Mal vielleicht keine zweite Chance mehr.
Dies war der unschuldigste Kuss, den Juliet bekommen hatte, seit sie fünfzehn Jahre alt gewesen war. Zugleich war es auch der einzige Kuss, den sie von einem Mann bekommen hatte, der nicht Ben war.
Sie wappnete sich gegen heftige Attacken von Schuld und schlechtem Gewissen, doch diese blieben aus. Stattdessen verspürte sie ein Nervenflattern und etwas, das sie nicht genau beschreiben konnte.
Das Taxi hupte, und mit klopfendem Herzen löste sie sich von Mark.
»Ich rufe dich an«, rief er ihr hinterher.
Juliet lächelte ihn schief an, als sie ins Taxi stieg und dem Fahrer ihre Adresse nannte.
Attraktiven Mann küssen . Abgehakt.
»Ich freue mich darauf«, rief sie und winkte Mark zu, als das Taxi in Richtung Rosehill abfuhr.
18
L ouise, bitte sag mir ehrlich, wenn ich mich damit lächerlich mache, aber ist es Ende August noch zu früh, um sich über Weihnachten Gedanken zu machen?«
Louise sah von ihrem Laptop auf, an dem sie die nächsten Baumarkt-Updates für Juliet herunterlud (dieses Mal: Gästetoilette im Erdgeschoss mit einem perfekten Eckwaschtisch, den Louise selbst gern gehabt hätte), und schaute zu ihrer Mutter hinüber. Diese packte gerade Tobys Sachen zusammen, weil sie gleich nach Hause gehen würden. Selbst wenn es sich hierbei um keine direkte Suggestivfrage handelte, so war doch in Dianes Miene eindeutig »Bitte stimme mir zu« zu lesen.
Insgeheim fand Louise, dass der Monat August dafür tatsächlich vielleicht noch ein wenig früh war, was aber eher daran lag, dass sie momentan nicht weiter schauen konnte als bis zum Tischkalender auf ihrem Schreibtisch. Früher hätte sie spätestens jetzt damit angefangen, ihre Weihnachtskarten selbst zu basteln. Mitte September hätte sie dann den ersten Weihnachtsstollen gebacken und die im Sommerschlussverkauf im Juli ergatterten Geschenke im Oktober bereits einmal eingepackt …
Sie nahm sich vor, ihren alten Weihnachtsplaner hervorzukramen, damit sie sich nicht ganz so überarbeitet und gestresst fühlte.
»Eigentlich nicht«, erwiderte sie. »Ich war heute bei M&S beim Mittagessen, und da gab es schon sämtliche Winterpullover und Stiefel. Warte nur ab, in wenigen Wochen wird alles mit Schneemännern und Lametta dekoriert sein.«
»Prima«, erwiderte Diane sichtlich erleichtert. »Ich dachte, ich frag einfach mal, damit wir Pläne machen können. In diesem Jahr soll es ein ganz besonderes Fest werden.«
Mit einem lauten Schmatzen küsste Louise Tobys zartes Köpfchen. »Na ja, schlimmer als letztes Jahr kann es ja wohl kaum werden, oder?«
Bei dem Gedanken an die Vorjahresfeier verstummten beide.
Letztes Weihnachten war eher ein emotionaler Abenteuerparcours gewesen, durch den man sich hatte durchkämpfen müssen, als ein feierliches Fest. Zwei Monate nach Bens Tod hatte Juliets betäubender Schockzustand allmählich nachgelassen, und sie war in eine Wutphase geraten, in der schon allein der Anblick von glücklichen Paaren im Fernsehen eine Schimpftirade gegen die verdammte Ungerechtigkeit der Welt auslöste, gefolgt von bitteren Tränen.
Louise brach es das Herz, Juliet so zu sehen – und auch ihre Eltern so leiden zu sehen. Zwar trank Juliet nicht so viel, wie Louise es in ihrer Situation wohl getan hätte, doch sie wies die unvorhersehbaren Stimmungsumschwünge einer Trinkerin auf. Ein- oder zweimal hatte Louise Juliet erwischt, wie diese Peter und sie in ihren Weihnachtssocken mit einem schrecklichen Widerwillen angesehen hatte. Louise wusste, dass dies nur so war, weil ihre kleine Familie so heil und schön schien, während Juliets eigenes Leben nur noch aus Trümmern bestand.
Ihre Familie war natürlich nicht so heil und schön, wie man von außen betrachtet hätte meinen können. Sie selbst hatte ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Affäre mit Michael, und an Peter blieb die Rolle des einzigen anderen Mannes im Hause hängen, sodass er doppelt so viel Zeit damit
Weitere Kostenlose Bücher