Liebe kommt auf sanften Pfoten
aber es war offensichtlich, dass keiner von uns beiden wirklich glücklich war. Ich habe versucht, dir das in jenem Gespräch zu erklären – in der Hoffnung, dass du mir zustimmst, ›Ja, Peter betrachtet dich einfach als selbstverständlich‹, aber du hast völlig überreagiert. Und dann ist Ben gestorben. Ich habe nur noch gedacht, o mein Gott, wir könnten alle morgen schon tot sein, warum bin ich dann die Einzige, die …« Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
Als sei sie der erste Mensch, der je diese Erkenntnis gehabt hätte, dachte Juliet. Sie drehte sich zu ihrer Schwester um, die starr geradeaus sah, als würde sich die Szene direkt vor der Windschutzscheibe abspielen.
»Ich habe dich im Krankenhaus gesehen, wie du vor dem Zimmer gesessen hast, in dem sie Ben aufgebahrt hatten. Da habe ich mich unweigerlich gefragt, für wen ich überhaupt lebe«, fuhr Louise fort. »Für mich oder für irgendjemand anderen? Ich habe immer das Richtige getan. Immer. Und wohin hat das geführt? Also habe ich Toby zu Mum gebracht und behauptet, ich hätte einen Zahnarzttermin. Dann habe ich Michael angerufen, und wir haben …« Sie hielt inne.
Das Schweigen breitete sich plötzlich wie Giftgas in dem kleinen Kastenwagen aus.
»Was habt ihr?«, hakte Juliet nach.
»Was glaubst du denn?«
Ach komm schon, jetzt steh auch dazu, dachte Juliet. So einfach lasse ich dich nicht davonkommen. »Hier?«
»Nein.«
»Wo denn dann?«
»Im Wald, in den Coneygreen Woods«, erwiderte Louise nach einer langen Pause.
Juliet wirbelte zu ihrer Schwester herum. »Aber es war Oktober! Und außerdem wimmelt es da vor Leuten, die mit ihren Hunden Gassi gehen!«
»Das wusste ich doch nicht! Schließlich habe ich keinen Hund! Ich habe mir keine Gedanken gemacht über irgendwelche romantischen Orte; ich wollte mir einfach Michael schnappen und mit ihm all die Sachen tun, an die zu denken ich in den Monaten zuvor stets vermieden hatte. Das war keine rationale Entscheidung. Ich wollte es einfach nicht bei mir oder bei ihm zu Hause oder in irgendeinem Hotel tun.«
Juliet ließ sich in ihren Sitz zurücksinken. Von nun an würde sie die Wälder mit anderen Augen sehen. Sie sah Louise vor sich, die von einer animalischen Lust gepackt und halb nackt an eine der Eichen gelehnt war, aber sie sah gleichzeitig auch irgendwie ihn . Sein Hemd hing aus der Hose, und er stützte sich mit seinen starken Armen am Baumstamm ab. Sie blinzelte und schob diese Vorstellung schnell beiseite, bevor diese sich in ihrer Erinnerung festsetzte und sie aufregen würde.
»Was ist dann passiert?«, bohrte Juliet weiter nach.
»Dann war es auch relativ schnell wieder vorbei. Schließlich habe ich erlebt, wie verzweifelt du ohne Ben warst, und ich bekam immer wieder diese Panik, was passieren würde, wenn Peter die Sache herausbekommen würde. Ich wollte Tobys Familie nicht auseinanderreißen. Tief in meinem Inneren liebe ich Peter nämlich immer noch. Ich wollte diese Person nicht sein … in die ich mich immer mehr verwandelte. Ich wollte mein altes Ich zurück.«
»Das ist auch der Grund, warum du so plötzlich wieder arbeiten gegangen bist?«
»Ja.« Louise inspizierte ihre Fingernägel. »Ich wäre am liebsten am nächsten Tag wieder zur Arbeit gegangen, aber ich habe ein paar Monate gebraucht, bis ich Douglas dazu überredet hatte, die Abteilung so umzustricken, dass ich wieder hineinpasste. Immerhin hatte ich ihm zuvor erklärt, dass ich erst wieder zurückkommen würde, wenn Toby eingeschult wird. Mein Chef war ziemlich überrascht, dass ich es mir doch wieder anders überlegt hatte. Ich weiß, ich weiß«, fuhr sie fort, »erinnere mich bitte nicht daran, welchen Mist ich über die prägenden Jahre und all so etwas gesagt habe. Ich habe eine ganze Menge Zeug abgesondert, von dem ich jetzt weiß, wie absolut falsch das war.«
»Aber du hättest auch einfach nur zu Hause bleiben und deine Schlüpfer anbehalten können!« Juliet war gnadenlos. »Du hättest zu einer anderen Babygruppe gehen können. Du hättest stricken lernen können.«
Louise stöhnte laut auf. »So war es nicht. Es ging dabei nur um mich .«
Warum bin ich eigentlich so wütend?, fragte Juliet sich verwundert. Warum will ich sie so unbedingt bestrafen? Weil sie Peter verraten und ihre Ehe aufs Spiel gesetzt hat? Und sich dabei immer noch für ein Opfer hält? Ich bin diejenige, deren Ehe vorbei ist und die nicht gefragt worden ist.
»Ich nehme an, du hast Peter davon nichts
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