Liebe kommt auf sanften Pfoten
nicht tatsächlich so, dass Dachshunde dazu gezüchtet wurden, um in Kaninchenbauten zu kriechen? Hector schien genau der Typ Hund zu sein, der sich kopflos in die Tiefe stürzte, ohne sich Gedanken über einen Rückweg zu machen. Juliet rutschte das Herz in die Hose.
»Hector? Hector! Minton, komm hierher!«
Juliet lief los und zerrte gleichzeitig an Mintons Leine. Einige Schritte entfernt tauchte sein weißes Hinterteil aus einem kräftig gewachsenen Farn auf, gefolgt, nach einem kurzen Schwanzwedeln, von seinem Kopf. Blätter klemmten in seinem Geschirr, und er sah aus wie ein schlecht getarnter Soldat.
»Wo ist Hector?«, fragte sie ihn wider jede Vernunft. »Wohin ist er verschwunden?«
Dies waren die Momente, in denen sie sich wünschte, Minton etwas Nützlicheres beigebracht zu haben, als einfach nur die Fernbedienung zu apportieren.
»Hector!«, brüllte sie. Das Blut pochte ihr in den Schläfen und presste sich ins Hirn. Panik stieg in ihr auf und wurde noch durch die unverhältnismäßige Wut verstärkt, die sie seit Kurzem in so vielen, deutlich unwichtigeren Situationen empfand.
Wie hatte das nur passieren können? Warum musste ausgerechnet sie sich nun um diese beschämende, stressige …
»Runter! Runter mit dir!«
Juliet hielt inne und lauschte. Irgendwo oberhalb ihrer Position brüllte jemand.
Außerdem hörte sie ein Japsen. Genauer gesagt zwei verschiedene Arten von Japsen, doch eines davon war das tiefe Japsen eines verliebten Dackels.
»Runter!«
»O Mist!«, stammelte Juliet und rannte los. Der Pfad führte nun in einem großen Bogen nach rechts und stieg steil an. Die Wegesränder waren von Bäumen gesäumt, sodass Juliet erst, nachdem sie die Biegung hinter sich gebracht hatte, völlig außer Atem einen Mann erblickte, der einen schwarz-weißen Cockerspaniel gepackt und ihn praktisch über seinen Kopf gehievt hatte, während Hector auf seinen Hinterläufen tänzelte und mit seinen Vorderpfoten an der Hose des Mannes riss.
»Hector! Komm sofort her!« Juliet rannte die letzten Meter hinauf und hielt Hectors Halsband parat. Als sie es ihm umlegen wollte, rutschte sie jedoch auf dem nassen Laub aus und fiel zu Boden, wobei sie den Mann von den Füßen riss. Dieser geriet ins Taumeln, da er ohnehin schon mit dem Gewicht seines Hundes zu kämpfen hatte, und landete im Farnkraut.
Minton und Coco, die mit ihren Leinen immer noch an Juliets Handgelenk befestigt waren, folgten ihm.
Ein paar Sekunden lang lag Juliet reglos da, während das laute Hundegebell von den Bäumen widerhallte. Während der letzten acht Monate hatte es immer wieder Momente gegeben, in denen sie sich auf seltsame Weise selbst gesehen und ihr Elend beobachtet hatte, als sei es ein Drama im Fernsehen. Jetzt wünschte sie, sie könnte dies tun, nur funktionierte es dieses Mal nicht. Sie spürte die volle Demütigung am eigenen Körper, obwohl dieser gegenüber tatsächlichem physischen Schmerz immer noch unempfindlich war.
Der Mann richtete sich mühsam auf, und Juliet fühlte sich verpflichtet, dies auch zu tun, obwohl sie gut und gerne noch länger hätte liegen bleiben können – um sich geeignete Worte zu überlegen.
Automatisch spulte sie Entschuldigungen ab, obwohl ihr tief in ihrem Inneren eigentlich nicht nach Entschuldigungen war. Stattdessen hätte sie lieber wie ein Ork gebrüllt, alles um sich herum zertrümmert und erst Hector, dann Barbara Taylor über die Bäume geschleudert, weil sie sie in diese missliche Lage gebracht hatten.
»Es tut mir leid«, begann sie. »Ehrlich. Das ist nicht mein Hund. Er muss aus seinem Halsband geschlüpft sein.«
»Warum war denn das Halsband nicht eng genug eingestellt?«, fragte der Mann.
»Keine Ahnung. Ich habe es ihm nicht angezogen – ich gehe nur mit ihm Gassi … Komm hierher, Hector!« Juliet packte den Dachshund am Nackenfell und klemmte ihn zwischen ihre Knie, damit sie ihm das Halsband wieder umlegen konnte.
»Wenn Sie ihn nicht unter Kontrolle bekommen, dann sollten Sie ihm ein Geschirr anlegen«, fuhr der Mann fort. Zwar sprach er ruhig, doch man merkte ihm seine Verärgerung deutlich an. »Haben Sie gesehen, was er meiner Hündin antun wollte? Das grenzte beinahe schon an sexuelle Nötigung!«
»Ist sie gerade läufig?« Juliet hatte Mühe, höflich zu bleiben, obwohl ihr bewusst war, dass der Mann eigentlich recht hatte. »Sollte sie dann überhaupt nach draußen gelassen werden?«
Der Mann richtete sich zur vollen Größe auf und starrte sie an.
Weitere Kostenlose Bücher