Liebe läßt alle Blumen blühen
dem Griffbereich der Umherstehenden. Dupécheur stieß einen dumpfen Laut aus, den man sonst nur noch von wütenden Elefanten hört, aber das nützte gar nichts mehr.
Bondeau, nur noch an die 7.000 Francs und zwei Kisten Alkoholika denkend, begann seine Rolle zu spielen.
Kathinka Braun saß noch nicht, sie unterhielt sich noch mit Florence Dupécheur – da hatte Marcel sie erreicht. Vorsorglich trat der Marquis zurück und gab ihm somit den kürzeren Weg frei, es sah aber so aus, als wolle er für Kathinka den Stuhl zurechtschieben.
Marcel holte tief Luft, sammelte allen Mut und gab der Dame einen leichten Klaps aufs Gesäß. Das machte sich immer gut.
Kathinka zuckte unwillkürlich zusammen und starrte Zipka vorwurfsvoll an. Im gleichen Augenblick lallte Bondeau: »Ein schöner Hintern! Überall rund – und dazu der richtige Mund … Komm her, Mädchen! Eine Frau wird erst richtig schön, wenn sie mich kennenlernt …«
Dupécheur raste um die Theke herum, eine leere Weinflasche als Waffe schwingend. Der Marquis sagte lahm: »Verschwinden Sie!«
Sergeant Andratte schwitzte heftig vor Erregung, sog laut einen gewaltigen Luftstrom ein und brüllte: »Hierher, Marcel …!«
Kathinka Braun aber schlug Bondeau auf die Finger, als er die Hand ausstreckte, offensichtlich, um an ihren Busen zu fassen.
Das war ein Fehler, denn Bondeau, der Stockbetrunkene, heulte laut los – so schrill und tierisch, daß selbst Zipka erschrak.
»Sie – sie hat mich geschlagen!« schrie Bondeau. »Oh, geschlagen! Meine Hand ist gebrochen! Ach, dieser Schmerz! Wie das brennt, wie das schmerzt! Oh, bis zum Herzen schmerzt! Du mußt mich trösten …«
Er schwankte auf Kathinka zu, breitete weit die Arme aus und war somit offen für jeden Gegenangriff.
Was Raoul de Formentiére erwartet hatte, trat prompt ein. Ludwig Zipka enttäuschte nicht. Er vertrat Bondeau den Weg, musterte kurz das vom Alkohol gerötete Gesicht und schlug zu. Es war ein kurzer, trockener Schlag, wie man unter Boxern sagt, kaum sichtbar aus der Schulterdrehung geschlagen, ein Punch genau auf den Punkt, nämlich die Kinnspitze.
Marcel Bondeau hatte in seinem Leben schon viel Prügel bekommen, aber einen so perfekten Schlag fing er sich zum erstenmal ein. Verwundert spürte er, wie er leicht und leichter wurde – wie er zu schweben begann –, und das war ein beseligendes Gefühl. Ohne Erdenschwere vollführte er noch eine Pirouette, die Gesichter um ihn herum verschwammen, und voll inneren Glücks legte er sich flach auf den Boden – ohne Schmerzen. Im gleichen Augenblick stellte er die Atmung ein. Das medizinische Phänomen Bondeau trat in Tätigkeit.
Entsetzt sah Kathinka die vor ihr liegende Gestalt an. Dann drückte sie ihre rechte Hand auf den Mund, und ihr Blick wanderte voll Grauen zu Ludwig Zipka.
Unterdessen kniete der Marquis neben Bondeau, legte sein Ohr auf die Brust des Scheintoten, beleckte seinen Zeigefinger und hielt ihn an Marcels Lippen.
Florence Dupécheur, hinter dem Tisch, gluckste hysterisch.
Sergeant Andratte hielt den tobenden Dupécheur fest, der mit seiner leeren Weinflasche sogar noch nachschlagen wollte.
Mit ernster Miene erhob sich Raoul de Formentiére und putzte sich die Hände an einer weißen Serviette mit Monogramm ab. »Er ist tot!« sagte der Marquis dumpf.
»Nein! Um Himmels willen, nein!« stammelte Kathinka Braun. »Wig, o Wig, das … das ist doch nicht möglich …«
Nun war Andrattes große Stunde gekommen. Er trat an Bondeau heran, stieß ihm die Stiefelspitze in die Seite und sagte gebieterisch: »Keine Aufregung, meine Herrschaften! Das kennen wir! Marcel ist nicht tot – das sieht nur so aus. Er ist ein medizinischer Einzelfall, sagt Dr. Bombette. Morgen läuft er wieder herum.«
»Er ist tot!« Der Marquis legte vorsorglich den Arm um Kathinkas Schulter. »Ich bitte doch, mir zuzutrauen, daß ich erkennen kann, wenn jemand tot ist. Ich bin Jäger! Dr. Bombette wird es bestätigen. Rufen Sie den Arzt, bitte.«
»Der kommt nicht!« Dupécheur beugte sich über den bleich werdenden Bondeau und riß ihm das Hemd von der Brust.
Keine Bewegung, nicht die Andeutung eines Atems! Es hatte jetzt keinen Zweck, auf Marcel einzureden, ihn etwa zu ohrfeigen oder mit anderen Mitteln zu reizen … Sein medizinisch unerforschter Zustand hielt vierundzwanzig Stunden an, das wußte man. Beim vorletzten Mal hatte jemand versucht, ihn mit Salmiakgeist ins Leben zurückzuholen – aber auch da: Fehlanzeige! Seine
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