Liebe, lebenslänglich
ebenso erinnert sie sich, wie sie in ihren leuchtenden Hippie-Gewändern »wie ein extraterrestrischer Schmetterling angeflogen kam« und von den Menschen ins Herz geschlossen wurde. Und sie erinnert sich auch an dieses Mädchen, dem es im Kindergarten verboten war, mit Una zu spielen, weil seine Eltern den Umgang mit einem Kind von Unverheirateten für schädlich hielten. Aber das war die absolute Ausnahme, sagt Ingeborg Lüscher. »Sonst war Una voll integriert.«
»Wir waren die atypischste Familie im ganzen Tessin«, sagt Una Szeemann und lächelt freundlich aus einem Gesicht, dessen untere Partie eher an ihre Mutter erinnert, wie sie sagt, und die obere an den Vater. Sie hat sich nach längeren Aufenthalten in New York, Los Angeles, Rom, Berlin gerade neu in Zürich eingerichtet und bewegt ihre langen Jeansbeine, ihre langen, flachsblonden Haare und ihre schönen, blauen Augen lässig durch die neuen Räume, in denen wohnliche Klarheit herrscht, wenige Möbel, weiße, bilderlose Wände.
Atypisch war zum Beispiel, dass ihre Mutter so alt war wie die Großmütter ihrer Schulkameraden. Als Mädchen war ihr das peinlich. Sie reagierte darauf, indem sie ihrer Mutter das Versprechen abnahm, sich immer die Haare zu färben. Doch ihre Mutter fiel auch auf durch ihre bunten, weiten, wallenden Kleider. »Deine Mutter ist eine Zigeunerin«, hänselten sie die anderen Kinder. Das war als Kränkung gemeint und wurde von Una genauso verstanden, die gut gemeinten Worte der Mutter, eine Zigeunerin sei doch etwas Tolles, trösteten sie nicht. Una selber wurde als Hexe beschimpft: »Uno, due, tre, Una strega! Uno, due, tre, Una strega!«, riefen die Kinder ihr nach, so lange, bis sie sich einen neuen Namen zulegte: »Sarah, ein 08/15-Name, aber mit einem h am Ende, ein bisschen besonders sollte es schon sein.«
Heute findet Una Szeemann, dass sie in eine auserwählte Familie hineingeboren worden ist. Doch als Mädchen hätte sie niemals fremde Kinder zu sich nach Hause eingeladen, so anders sah es bei ihr aus. Sie schämte sich, weil an ihren Wänden Bilder hingen und sich am Boden die Bücher stapelten, weil ihre Mutter als einzige all der Mütter arbeitete, weil sie viele Gäste hatten, auch komische Vögel wie diesen Obdachlosen Laurence Pfautz, dessen Kleider nach Urin rochen, obwohl er stundenlang bei ihnen duschte, und über den ihre Mutter ein Buch schrieb.
Sonntage gab es bei ihnen zu Hause nicht. Die Vorstellung, zusammen mit ihren Eltern Ski zu fahren oder einen Waldspaziergang zu machen, wie es in anderen Familien Brauch war, schien ihr utopisch. Ihre Eltern hatten sich der Kunst verschrieben, die nahm ihre Zeit in Anspruch. Una Szeemann hat ihre Kindheit weniger auf Spielplätzen verbracht und mehr auf Vernissagen, und sie langweilte sich da manchmal sehr: »Diese Flut von Menschen, die mit meinen Eltern reden wollten.« Bei Einladungen war sie oft das einzige Kind, sie war das süße, blonde Zwerglein, das in einer Ecke saß und zeichnete. Manchmal schlief sie unter dem Tisch ein. Zum Rahmenprogramm gehörte meist auch Alkohol. Sie sieht sich heute noch, wie sie in Apulien auf dieser Treppe sitzt, der Vollmond scheint, und sie beschwört den Himmel, dass die Erwachsenen sich doch bitte, bitte nicht betrinken mögen.
Der für ein Kind nicht immer optimale elterliche Lebensstil sei aufgewogen worden durch einen Horizont, der weit war und Reisen einschloss, zum Beispiel durch Schottland und England, auf den Spuren alter Kirchen, die ihr Vater für seine Arbeit zu besichtigen hatte. Viele Kirchen hat sie da gesehen, »ganz toll«, und den Blick für Nuancen geschärft. Jede Ausstellung, deren Aufbau sie verfolgte, zündete Funken. Ganz beiläufig und ohne Anstrengung habe sie eine Schule des Sehens durchlaufen, sagt Una Szeemann, all die Diskussionen, deren Zeuge sie war, wie man den Raum am besten komponiere, welches Bild mit welchem kommuniziere.
Sie erlebte das als Bereicherung, aber auch als Belastung. Diese Erfahrungen konnte sie mit keiner Mitschülerin teilen. Als Mädchen war sie stets bemüht, den Eindruck zu erwecken, bei ihr sei alles wie bei den anderen. Doch das Ungesagte entfaltete trotzdem seine Macht und entfremdete sie den Kindern im Dorf. »Mit meinem Hintergrund war es sehr schwer für mich, Freundschaften zu schließen«, sagt Una Szeemann. Ihr Leben und ihre Art waren in den Augen der anderen nicht normal.
Mit sechs Jahren kam sie in eine von Nonnen geführte Schule, die den Vorteil bot, dass
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