Liebe, lebenslänglich
gewesen.
Und er sagt, dass er tief schlafe und schöne Träume habe.
Die Namen in diesem Text wurden geändert.
WIR SPINNEN ALLE IN
UNSERER FAMILIE
Heute lebt sie selber als Künstlerin. Als Kind aber litt Una Szeemann (38) schwer darunter, dass bei ihr zu Hause alles anders war als anderswo. Anders war zum Glück auch die grenzenlose Liebe ihrer Mutter, der Künstlerin Ingeborg Lüscher (77).
Ein einziges Mal nur wollte Ingeborg Lüscher Mutter werden, das jedoch unbedingt. Als sie 1972 auf der fünften Kasseler Documenta den Ausstellungsmacher Harald Szeemann kennenlernte, war sie sicher, dass er der richtige Vater wäre für ihre Tochter. Es würde eine Tochter werden, auch da war sie sich sicher. Drei Jahre vergingen, und Una Alja war geboren.
Ingeborg Lüscher trägt ein bodenlanges schwarzes Kleid und eine silbern glitzernde Strickjacke, die wie eine Rüstung an ihr hängt. »Ein Weihnachtsgeschenk von Una«, sagt sie. Sie selber habe die Jacke zunächst für ein bisschen sehr exzentrisch gehalten, »aber Una sagte nur, ›die passt doch perfekt zu dir, Mammilein‹«. Wenn Ingeborg Lüscher von ihrer Tochter erzählt, dann meist in Form von Anekdoten, die für das Allgemeine stehen sollen. Und sie nimmt sich dafür viel Zeit, obwohl sie sehr beschäftigt ist mit Ausstellungen in Hamburg, Berlin, Bremen, Augsburg, Cambridge. Denn die Beziehung zu Una ist ihr wichtig.
Wir sitzen am selbst gebauten Kupfertisch in ihrem eleganten Haus. Der Blick geht durch bodenlange Fenster hinaus auf einen üppigen Tessiner Garten, Palmen erinnern daran, dass hier der Süden anfängt. Vor Ingeborg Lüscher liegt ein gelbes Buch im A4-Format. Das Gelbe Buch. In den ersten Jahren hielt sie darin all die großen und kleinen Geschichten fest, die sie mit Una erlebte. Gerade kürzlich hat sie wieder darin gelesen und sich daran erinnert, »wie ungebremst, fast übermütig« sie damals ihren immer runder werdenden Bauch durch die Welt und durch Tegna trug, dieses 700-Seelen-Dorf in der italienischsprachigen Schweiz, wo sie auch heute, mit 77 Jahren, noch wohnt.
»Ein wunderbarer Ort«, sagt sie und beschreibt die 23 Paare gehäkelter Babyschuhe, die sie zur Geburt von den Frauen im Dorf geschenkt bekam. Una sei mit einer überwältigenden Feier in die Dorfgemeinschaft aufgenommen worden: »Es war ein Fest von solcher Freudigkeit, ein vollkommenes Fest.« Der Postbote sei im Smoking gekommen, seine Frau im Abendkleid, das bedruckt war mit riesigen Orchideen, und auch die anderen machten sich schön, mit Kittelschürzen, die sie im Supermarkt neu gekauft hatten.
Una war sieben Tage alt, als Ingeborg Lüscher zu einem Symposium nach Berlin eingeladen wurde. Sie erinnert sich noch genau, wie sie mit ihrem Mann Harald Szeemann am Frühstückstisch saß und er sie fragte, warum sie glaube, da nicht teilnehmen zu können. »Richtig. Warum nicht. Warum eigentlich nicht? Die magischen Worte! Er hatte ja so recht. Ich wollte doch immer alles: Geliebte sein, Künstlerin sein und Mutter sein!« Also packte sie Una in eine Tragetasche und stieg mit ihr in den Zug. Völlig unproblematisch sei das gewesen, natürlich auch, weil sie das enorme Glück eines gesunden Kindes gehabt habe, das weder Angst vorm Einschlafen noch vorm Aufwachen hatte.
Nach dieser Erfahrung war Una immer dabei. Bei Einladungen, Ausstellungen, Vernissagen, auf Reisen: »Una gehörte einfach dazu.« Und Ingeborg Lüscher fühlte sich nie hin- und hergerissen zwischen der Arbeit als Künstlerin und dem Muttersein. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, fand sie eine Tagesmutter. Von da an sei sie jeden Tag nach dem Mittagsschlaf bis sieben Uhr abends bei Dady gewesen, sagt Ingeborg Lüscher, »und Dady war ein wunderbares Wesen, einfach perfekt, liebevoll und nicht ängstlich«. Mit ihrer Hilfe habe sie den Umstand, eine Tochter zu haben, nie als Einschränkung empfunden, sagt sie, im Gegenteil: »Da ich dieses Kind ja so wahnsinnig liebte, bedeutete es eine absolute Steigerung meines Lebensgefühls.«
Ingeborg Lüscher trinkt ihren Kaffee. In ihrer Erinnerung sind sie und alle, die mit ihr verbunden sind, mit Glück überhäuft. Sie wünscht sich, dass jeder glänzt, und ihr Wunsch geht in Erfüllung. Wie durch Zauber verwandelt sich in ihrer Wahrnehmung das Schöne in Großes, und Hässliches wird zum Verschwinden klein oder halt einfach speziell.
So weiß sie zwar, dass diese »Uralt-Mutter«, »diese Künstlerin« die Dorfbewohner anfangs stark befremdete. Aber
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