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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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Großeltern erfahren mussten, dass ihre Tochter massakriert wurde – schlimm genug. Doch dass sie beide im Bewusstsein starben, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass ihr Enkel die Tat begangen haben könnte, das verzeihe ich den Richtern nie. Nichts von dem, was sie meinen Angehörigen angetan haben, kann ich ihnen je verzeihen. Meine Familie wurde mitkriminalisiert.«
    Bence Toth versucht, sich in alle düsteren Nuancen der Stigmatisierung hineinzudenken, die sein Vater als Vater eines Mörders, denn so sieht ihn die Welt, erdulden muss. Er weiß, dass nach seiner Inhaftierung die Konten seiner Eltern gesperrt worden waren. »Auf Betreiben des sogenannten Freistaates Bayern«, sagt Bence Toth. Seine Eltern hätten sich darauf das Essen vom Mund absparen und verschulden müssen. Er stellt sich vor, wie sein Vater durch die Straßen von Starnberg geht, und links und rechts wird getuschelt. Vielleicht klopft ihm auch mal einer auf die Schultern. »Das wird dann wohl in Mitgefühl verpackte Sensationslust sein.« Bence Toth spürt auch, wie seine Geschichte die Ehe der Eltern belastet, die brüchiger geworden sei.
    Seine Geschichte besetzt alles, die Begegnungen mit seinem Vater, seiner Mutter, seinem Bruder. Wenn sie ihn besuchen, kreisen die Gespräche immer um ein Thema: »Immer geht es um mich. Ich stehe im Zentrum. Mein Befinden, meine Zukunft, die nächsten rechtlichen Schritte. Mit meinem Bruder, der jetzt die Parkgarage meiner ermordeten Tante führt, rede ich manchmal übers Geschäft. Und ganz am Schluss frage ich dann jeweils noch, ob meine Nichte jetzt endlich angefangen hat mit dem Cellounterricht.«
    Seine Familie ist also mit ihm in den Sog dieses Verbrechens geraten. Doch Schuldgefühle lässt er deswegen bei sich keine zu. Er konzentriert seine Kräfte auf den Kampf gegen die in seinen Augen wirklich Schuldigen am Unglück seiner Nächsten. Er tut das seit dem 5. Mai 2009, seit er die knappe Mitteilung des Bundesgerichtshofes Karlsruhe in den Händen hielt, dass er nach umfassender Prüfung keine Rechtsfehler im Urteil des Münchner Schwurgerichts festgestellt habe, und dass die lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten im sogenannten Parkhaus-Mordprozess somit rechtskräftig sei. »Seit diesem Moment befinde ich mich im Krieg.« Da habe er sich, damals 33, gesagt »So, jetzt gehts länger« und sich eine letzte Zigarette gedreht – denn er erinnerte sich an seinen Urgroßvater, der die beiden Weltkriege miterlebt und stets erzählt hatte, dass aus der Kriegsgefangenschaft nur die Nichtraucher heimgekommen seien.
    Bence Toths Feinde sind das Gefängnispersonal, vor allem aber diejenigen, die ihn verurteilt haben. Er bekämpft, was er als ihre Willkürherrschaft erlebt, ihre absolute Macht über die Freiheiten und das Leben anderer. Er macht mit ihnen das, was sie mit ihm gemacht haben. Er kriminalisiert sie: »Diese Verbrecher!« Und er entmenschlicht sie: »Das sind ja für mich keine Menschen mehr. Das sind ja nicht mal Bratwürste für mich.« Dabei ist er überzeugt, dass sogar sein Hass auf dieses System und seine Vertreter vom System gewollt sei und geschürt werde: »Wenn derart hasserfüllte Menschen wieder freigelassen werden, bauen sie sofort den nächsten Mist, ist ja klar. Und genau das will man. So ernährt sich das System selbst.«
    Er bemüht sich deshalb, seinen Hass in Zorn zu verwandeln. Hilfreich ist ihm dabei sein Sinn für Ironie, etwa wenn er zurückblickt auf die Geschichte seiner Familie. Seine Großeltern väterlicherseits waren von den Stalinisten enteignet worden. Sein Vater verließ Ungarn 1981, weil er seinen Kindern die Willkür und Lügen eines totalitären Staates ersparen wollte. Genau das sei ihm nun widerfahren, sagt Bence Toth, »und zwar im sogenannten Freistaat Bayern«. Er versucht es mit Leichtigkeit: »Dumm gelaufen.« Er weiß, dass die Chancen gering sind, je wieder freizukommen: »Das wirklich Einzige, worauf ich nicht vorbereitet bin: Wenn ich morgen als freier Mann aufwachen würde.«
    Sein Vater hingegen verströmt Optimismus. Manchmal ringt er kurz nach Luft, aber meist wirkt er so animiert, als habe er in einem Frühlingsregen gebadet. Seine Frau sei eher pessimistisch, und bis jetzt habe sie leider recht behalten, er jedoch lasse sich nicht einschüchtern, weder von einem Gericht in München noch von einem in Karlsruhe oder Augsburg. Und auch zu Bence habe er gesagt: »Junge, gib nicht auf. Denn wir haben einen Verbündeten, der hat noch nie

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