Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
in eine Plastikschutzhülle gepackt worden war. Ich denke, das war der Tag, an dem meine Mutter beschlossen hat zu leben. Nicht, dass sie wirklich leben würde. Vielmehr begräbt sie sich lebendig.
Inzwischen ist es praktisch unmöglich, mit ihr zu kommunizieren. Wir sprechen miteinander – ich bin höflich, sie ist unverbindlich –, aber mehr auch nicht. Heute werden wir allerdings darüber hinausgehen müssen, und das ist für keine von uns einfach. Wir drehen uns laut der Uhr am Herd seit fünfunddreißig Minuten im Kreis. So kommen wir nirgendwohin, und nun habe ich mich darauf verlegt, wie eine Achtjährige zu quengeln.
»Mu-u-m.«
»Grace, ich will davon kein Wort mehr hören. Ich werde das freundliche Angebot von diesem Mann annehmen.«
Seht ihr? Sie ist unmöglich.
»Das ist kein freundliches Angebot. Wie kann das ein freundliches Angebot sein? Wir reden hier von einem Ort, den ich einmal in der Woche besuche, um Dad nahe zu sein.«
Meine Stimme bricht, und wir zucken beide zusammen. Früher war ich richtig gut darin, nicht zu weinen, aber aus irgendeinem Grund kommen mir zurzeit ständig die Tränen und müssen weggezwinkert oder heruntergeschluckt werden. Das ist richtig lästig. Ich drehe mich von Mum weg und schaue aus dem Küchenfenster. Der Rasen muss gemäht werden, überall sprießen Butterblumen. Früher als Kind bin ich darum herumgetanzt, während ich Build me up, buttercup sang. Als ich das Gefühl habe, dass das Bedürfnis zu weinen nachlässt, drehe ich mich wieder zu Mum.
»Seit zehn Jahren besuche ich regelmäßig sein Grab, singe ihm vor und rede mit ihm, putze die Vogelkacke von seinem Grabstein und stelle frische Blumen hin, die ich übrigens bei Sainsbury’s kaufe. Sorry, Mum, aber das kannst du mir nicht wegnehmen.«
»Grace.« Wie ich ihr zugestehen muss, wird ihr Ton nun etwas weicher. »Ich habe bereits unterschrieben. Die haben mein schriftliches Einverständnis.«
»Aber du kannst es widerrufen. Du könntest sagen, dass du es dir anders überlegt hast. Wir können gern zusammen mit dem Mann reden. Er hat seine Frau verloren. Er wird das verstehen.«
Sie schüttelt stumm den Kopf. »Nein, Grace, für dich ist das anders.«
»Warum?«
»Ich hasse es, an diesen kalten, dunklen Ort zu denken, an dem er jetzt ist, Grace. Ich kann das nicht …«
Sie wendet sich ab. Das ist ein Novum. Meine Mutter spricht sonst nie über Dads Tod.
»Aber, Mum«, sage ich sanft. »Komm doch einfach mal mit. Gleich nächsten Samstag. Es ist dort nicht kalt oder dunkel. Die Luder-Weißbirke flüstert ihm den ganzen Tag ins Ohr. Es ist ein wunderschöner Ort, um seine letzte Ruhe zu finden. Ich habe mir immer vorgestellt, dass wir später einmal neben ihm begraben werden. Bitte, Mum, komm nächsten Samstag mit. Dann kannst du Leonard und Joan kennenlernen.«
»Wer ist das?«
»Ich habe dir doch von den zwei älteren Leuten erzählt, die ich auf dem Friedhof kennengelernt habe. Ihre Mutter liegt neben Dad begraben.«
»Ich wusste nicht, dass du näheren Kontakt zu ihnen hast.«
»Doch, wir sehen uns jeden Samstag. Sie wehren sich gegen das Bauvorhaben, aber es ist nicht fair, dass sie ganz allein unter Beschuss geraten. Len ist schon über siebzig und leidet an Bluthochdruck, und SJS Bau tyrannisiert die beiden.«
»Der Mann, der bei mir war, hat einen netten Eindruck gemacht«, erwidert sie.
Kann sein, dass ich mich täusche, aber es sieht so aus, als würde sie versuchen, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Mum, ich halte zu Leonard und Joan. Das ist nicht gerade leicht, wenn einem die eigene Mutter in den Rücken fällt. Aber wir werden kämpfen, und wir werden siegen, weil alle auf unserer Seite sein werden. Die wollen eine Straße bauen, die dort nicht hingehört. Bitte, Mum, sei auf unserer Seite. Auf Dads Seite.«
»Ich habe bereits unterschrieben.«
»Wir werden sagen, dass du es dir anders überlegt hast. Mach dir keine Gedanken wegen des Geldes.«
»Es gibt kein Geld, Grace.«
»Wie meinst du das?«
»Wir hatten diverse Anleihen, und ich habe jeden Monat Rendite erhalten. Aber dann gingen die Banken pleite, und wir hatten Riesenverluste. Also habe ich angefangen, mit Kreditkarten zu bezahlen, und nun muss ich entweder die Grabstelle verkaufen oder das Haus.«
»Scheiße.«
»Ausnahmsweise einmal bin ich deiner Meinung, Grace.«
»Ich habe ein festes Einkommen, Mum. Ich regle das mit deinen Schulden und gebe dir jede Woche einen bestimmten Betrag. Vielleicht nicht genug, um
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