Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
werden können.
Wendy zuckt mit den Achseln und sieht mich an. Ich bin hungrig, und er hat gesagt, dass er uns einlädt, also stehe ich auf.
»Na schön«, sagt Wendy. »Aber wenn sie nach der Pizza nicht anfängt zu reden, werde ich mich wieder aufs Brüllen verlegen.«
»Kommen Sie, Grace«, sagt John sanft und hält die Tür für mich auf. »Es ist in der Tat sehr ungewohnt, dass sie nicht auf mir herumhackt. Ich vermisse schon fast ihre Beschimpfungen. Kommen Sie, Fischmarktfrau«, ruft er nach hinten zu Wendy.
»Klappe, Posh Boy«, erwidert sie, mich nachahmend.
32
Ihr kennt sicher das Gefühl, kurz bevor man sich übergeben muss, wenn der Mund sich plötzlich literweise mit warmem Speichel füllt. Tja, genau dieses Gefühl habe ich. Und zwar seit wir das Restaurant betreten haben. Ich wünschte, ich hätte es nicht ausgerechnet jetzt.
»Nehmen wir das Übliche?«, fragt Wendy mich.
Wir teilen uns immer eine Pizza und einen Salat. Wir nehmen normalerweise die Pizza mit extra Salami und Schinken. Die schmeckt überirdisch. Aber heute will ich keinen Schinken. Ich weiß nicht, was ich will. Das muss daran liegen, dass es hier drinnen seltsam riecht. Ich bin mir sicher, es riecht hier nicht wie sonst. Aber niemand beschwert sich.
Vielleicht sollte ich zur Toilette gehen und mir den Finger in den Hals stecken. Nein, das ist widerlich. Es wird schon gut gehen. Wahrscheinlich ist mir schlecht, weil ich in den letzten vierundzwanzig Stunden nichts anderes in den Magen bekommen habe als Eis am Stiel. Ich hätte irgendwann ein Sandwich dazwischenschieben sollen, aber darauf bin ich nicht gekommen.
Wir sitzen nicht einmal in der Nähe der Toiletten. Die sind nämlich ganz hinten, die Treppe hinunter, wir sitzen näher an der Tür. Falls es mir hochkommt, muss ich vorne raus auf die Straße. Ich kann nicht glauben, dass ich hier sitze und meinen Fluchtweg plane, falls ich kotzen muss. Was soll’s, wenigstens lenkt es mich von Dan ab.
Ich bezweifle, dass ich heute etwas von der Pizza herunterbekomme. Nicht bei diesem eigenartigen Fleischgeruch in der Luft. Ich halte meine Speisekarte hoch und zeige auf ein Pasta-Gericht mit einer scharfen Tomatensoße.
»Verflucht, Grace! Pasta?«, sagt Wendy.
»Das ist lecker, Grace, das hatte ich auch schon einmal. Schmeckt ein bisschen feurig.«
John winkt einen Kellner heran und bestellt für mich und sich das Essen. Wendy entscheidet sich für die vegetarische Pizza mit Schinken und Salami. Sie wird sie heute allein essen müssen.
»Grace«, sagt John, nachdem der Kellner weg ist. »Machen Sie den Rest der Woche frei. Kommen Sie nicht vor Montag wieder. Alles wird gut.«
Ich denke an meinen Job und an den Makler-des-Jahres-Wettbewerb und spüre, dass ich loslasse. Ich spüre, dass ich alles loslasse. Dann fällt mir ein, dass ich meinen neuen Fünfjahresplan noch nicht gemacht habe. Vielleicht ist das der Grund, warum sich alles auflöst.
Eine Kellnerin kommt mit zwei Tellern an den Nebentisch.
»Wer bekommt die Leber spezial?«, fragt sie.
Daher kommt also der Geruch, von gebratener Leber – die jetzt jemand nur wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt isst! Wie das stinkt! Mehr Speichel sammelt sich in meinem Mund, während die Kellnerin den Teller vor den Mann stellt, der rechts von mir sitzt.
»Ooh, das sieht aber gut aus«, sagt mein Tischnachbar, nimmt sein Messer und schneidet in die Leber.
Ich versuche zu schlucken, aber ich kann nicht. Ruckartig schiebe ich meinen Stuhl vom Tisch zurück. Ich presse die Hand auf den Mund und laufe zum Ausgang. Kaum bin ich draußen, kann ich es nicht mehr zurückhalten.
»Hier haben Sie etwas Wasser, Sie armes Ding.«
Es ist John. Er hält mir ein Glas Wasser entgegen. Ich nehme es und verschütte etwas von dem Inhalt über meine Schuhe, bevor ich den Rest trinke. Das Wasser ist nicht sehr kalt. Ich wünschte, es wäre kälter. Ich wünschte, es wären Eiswürfel drin. Am liebsten hätte ich jetzt einen großen Eisberg mit Cola- oder Kirschgeschmack. Oh, was geschieht mit mir?
Ich sehe Posh Boy mit kläglichem Blick an. Ich kann nicht sprechen. Mein Freund hat mir den Laufpass gegeben. Ich habe mich gerade übergeben, und ich hoffe, das liegt an einer Überdosis Eis, denn die Alternative ist einfach … o Gott, sie ist einfach zu schrecklich, um sie auch nur in Erwägung zu ziehen.
Posh Boy breitet die Arme aus, macht dann einen Schritt auf mich zu und umschlingt mich. Das ist sehr mutig von ihm, weil er meinen
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