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Liebe, Lust und Lesebrille

Liebe, Lust und Lesebrille

Titel: Liebe, Lust und Lesebrille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Roemer
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führen muss
    In unserem Kulturkreis gilt seit einigen Jahrhunderten das Ideal der Liebesheirat. Arrangierte, standesgemäße Hochzeiten wie früher gibt es bei uns nicht mehr, stattdessen ist die Liebe für uns heutzutage die einzige akzeptable Grundlage für Partnerschaft und Ehe. Jeder kann entscheiden, ob und wann und wen er ehelichen möchte. Und das ist gut so.
    Dennoch bringt unser hochgestecktes Ideal der Liebesehe natürlich auch Probleme mit sich. Da ist ja zunächst die Frage: Was ist denn Liebe überhaupt? Und woran erkenne ich, ob ich jemanden wirklich liebe? Und woran erkenne ich, dass dieser Mensch mich auch liebt? Und woher soll ich wissen, dass ich diesen Menschen auch in zehn oder zwanzig Jahren noch lieben werde?
    Ebenso stellt sich die Frage: Ist der Mensch, mit dem ich zusammen bin, tatsächlich der oder die Richtige für mich? Woran erkenne ist das? Und könnte es nicht sein, dass da draußen in der Welt noch viel schönere, interessantere und liebenswertere Menschen herumlaufen? In der Tat sind die Kontakt- und Beziehungsmöglichkeiten in unserer globalisierten Welt scheinbar unendlich, wie können wir uns da dauerhaft an einen einzigen Menschen binden, der womöglich auch noch zahlreiche Macken hat? Zudem wir immer älter werden und dann auch umso länger miteinander leben müssten?
    All diese Fragen sind durchaus relevant. Sie sind weder dumm noch naiv, und jeder erwachsene Mensch wird sie sich insgeheim immer wieder einmal stellen. Jeder wird auf sie seine ganz individuelle Antwort finden müssen, denn objektivieren lässt sich hier nichts. Subjektive Kriterien zur Beantwortung dieser Fragen könnten sein:
Fühle ich mich von meinem Partner/meiner Partnerin angenommen und geliebt? Ist er/sie mir wohlgesonnen?
Fordert mich dieser Mensch positiv heraus und hilft er mir dabei, lebendig und aufmerksam für mich selbst zu sein?
Kann ich meinen Partner/meine Partnerin (meistens) annehmen, wie er/sie ist?
Bin ich gewillt, mir auch die schwierigeren Seiten von ihm/ihr anzuschauen und auf den Grund seiner/ihrer Seele zu blicken?
Kann ich zusammen mit diesem Menschen zu demjenigen werden, der ich gerne sein möchte? Oder komme ich in der Partnerschaft mir selbst nicht näher, sondern werde mir eigentlich immer fremder?
Befördert meine Partnerschaft meine persönliche Entwicklung? Oder verhalte ich mich mittlerweile so, wie ich mich niemals verhalten wollte?
Fördert die Verbindung eher meine positiven oder meine negativen Eigenschaften?
    Ein weiterer Knackpunkt unseres hohen Liebesideals ist die hehre Idee der Monogamie und der sexuellen Treue. Diese ist für viele zwar theoretisch erstrebenswert, aber auf die Dauer offensichtlich praktisch nicht lebbar. Die Vorstellung, ein einziger Mensch könne über viele Jahre hinweg immerzu das erotische Nonplusultra bedeuten und alle eigenen sexuellen Bedürfnisse befriedigen, scheint irgendwie unrealistisch zu sein. Nicht umsonst sprießen Seitensprungagenturen wie Pilze aus dem Boden und der Kontaktanzeigenmarkt ist überschwemmt mit Suchanzeigen von verheirateten Menschen. Frauenzeitschriften geben zahlreiche mehr oder weniger anzügliche Tipps, wie »frau« am besten eine heimliche Liebesaffäre anfängt. Alles in allem scheint »Untreue« zu einer Art harmlos-prickelndem Lieblingshobby der Deutschen geworden zu sein – wenn man den Medien denn Glauben schenken möchte. Im echten Leben führt sie allerdings nach wie vor zu massiven Schuldgefühlen und Kränkungen.
    Insgesamt scheint uns also das Ideal der dauerhaften romantischen Liebe zu überfordern. Wer in der Ehe permanent Wolke 7, immerzu tollen Sex und harmonische Innigkeit erwartet, muss zwangsläufig enttäuscht werden. Auch die Vorstellung, man könne sich über Jahre hinweg immer gleichermaßen zugewandt und zueinander hingezogen fühlen, ist unrealistisch. Entsprechend sind also ganz normale Kränkungen und Enttäuschungen innerhalb einer Partnerschaft schon allein deshalb zu erwarten, weil wir unseren Partner mit überzogenen Vorstellungen permanent überfordern – und uns selbst natürlich auch. Wenn wir ehrlich sind, sind wir selbst ja auch nicht immer so liebevoll, geduldig und herzensgut, wie wir vielleicht gerne wären. Auch wir haben schließlich Aggressionen, die unser Partner manchmal abbekommt, und auch wir sind manchmal in bestimmten destruktiven Verhaltensmustern gefangen, die unserer Partnerschaft nicht zuträglich sind.
    Partner, die schon eine Weile zusammenleben, haben also in

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