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Liebe, Lust und Lesebrille

Liebe, Lust und Lesebrille

Titel: Liebe, Lust und Lesebrille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Roemer
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in zwischenmenschlichen Beziehungen vorhanden, und das ist an sich kein Problem. Wichtig ist nur, wie wir mit diesen Aggressionen umgehen, ob wir sie überhaupt wahrnehmen oder sie ständig unterdrücken und womöglich umleiten. In der Kindererziehung gibt es das typische Phänomen, dass Mütter, die ihre ganz natürlichen Aggressionen ihren Kindern gegenüber dauerhaft abwehren, diese dann besonders »überbehüten«: Sie kompensieren ihr schlechtes Gewissen damit, dass sie ihrem Kind immer ein perfekte Mutter sein wollen. Solche umgeleiteten, unterdrückten Aggressionen schaden aber der Beziehung, denn ein Kind wird seinerseits auch keine Aggressionen gegen diese Mutter äußern dürfen. Wird es dann aufmüpfig und abwehrend der überbehütenden Mutter gegenüber, so wird die Mutter dies strikt unterbinden wollen und sein Verhalten moralisch abwerten: »Ich gebe meinem Kind alles, und es ist so undankbar!«
    Viele Menschen haben aber in ihrer Kindheit schon gelernt, dass Wut und Ärger »negative« und unerwünschte Gefühle sind, die man sich schnell abtrainieren und möglichst nicht zeigen sollte. Je mehr diese Gefühle dann unterdrückt werden, desto merkwürdigere Wege suchen sie sich. Manchmal kommen sie dann explosionsartig an unvermuteter Stelle hoch, oder sie werden in »verpackter« Form, z. B. als übertriebene Freundlichkeit, an den anderen weitergereicht. Das Schwierige an diesen verpackten Formen der Aggression ist, dass sie selten als solche erkannt und benannt werden, aber trotzdem ihre Wirkung zeigen, beispielsweise indem der Partner seinerseits aggressiv reagiert.
    Menschen, die in ihrer Partnerschaft dauerhaft nach Verschmelzung und Harmonie suchen, kompensieren damit oft mangelhafte Bindungserfahrungen ihrer Kindheit: Die symbiotische Liebe, die die Mutter (oder der Vater) ihnen im Säuglings- und Kleinkindalter hätte geben müssen, ist ausgeblieben oder unvollkommen geblieben, und so leiden diese Menschen auch später als Erwachsene oft unter einem eklatanten Mangel. Manche Partner können diesen Mangel dann bis zu einem bestimmten Grad ausgleichen, indem sie den bedürftigen Partner »nachbeeltern«, ihm also etwas von der Nestwärme geben, die dieser nicht oder unzureichend bekommen hatte.
    Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Wenn Paare aber in diesem Verschmelzungsmuster gefangen sind, bleiben sie auch gleichermaßen auf bestimmte Rollen und Funktionen fixiert, die eine echte Begegnung auf Augenhöhe verhindern oder zumindest erschweren.
    Wer in der Partnerschaft miteinander wachsen will, wird der Lebendigkeit den Vorrang vor der Harmonie einräumen müssen. Reibereien und Phasen der Konflikte gehören zum gemeinsamen Entwicklungsprozess dazu. Insofern ist die Abwesenheit von Streit keineswegs ein Zeichen einer glücklichen Beziehung, sondern eher Ausdruck von ausgeprägtem Vermeidungsverhalten. Ich mute mich dann meinem Partner nicht zu, zeige ihm meine Ecken und Kanten nicht, lasse mich nicht wirklich auf ihn ein. Wen will ich damit schonen? Meinen Partner? Vielleicht. In erster Linie schonen wir aber uns selbst vor unliebsamen Entdeckungen oder der Beschäftigung mit unangenehmen Themen.
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    Das eigene Harmoniebedürfnis prüfen
    Wenn Sie in Ihrer Partnerschaft also auch dazu tendieren, es immer harmonisch haben zu wollen, könnten für Sie vielleicht folgende Fragen relevant sein:
Welche Harmonisierungsmechanismen haben wir in unserer Partnerschaft entwickelt? Was vermeiden wir damit?
Welche Ängste stecken dahinter, dass ich mich meinem Partner nicht zeigen und öffnen möchte?
Was könnte schlimmstenfalls passieren, wenn wir diesen Schutzschild der Scheinharmonie mal fallen lassen würden?
Sind diese Befürchtungen realistisch? Oder basieren sie eher auf Erfahrungen in meiner Kindheit?
Welche früheren negativen Erfahrungen lassen mich davor zurückschrecken?
Weiß mein Partner davon? Sind wir im Gespräch darüber?
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Konflikte: Warum beide Partner »Recht« haben
    Wir sind alle leicht geneigt, in Schwarz-Weiß-Mustern zu denken. Entweder etwas ist gut oder etwas ist schlecht. Entweder man liebt sich oder man liebt sich nicht. Entweder man kann sich aufeinander verlassen oder eben nicht. Entweder man selber hat recht oder der andere. So einfach ist aber weder das Leben noch die Liebe. Hier gibt es unendlich viele Nuancen und (vermeintliche?) Widersprüche, die wir oft gar nicht erfassen, weil uns die einfachere Unterteilung in Polaritäten wie gut/böse, richtig/falsch, im

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