Liebe Mathematik, löse deine Probleme bitte selber - verblüffend einfache Lösungen für Mathematik im Alltag
war ihm jedes Argument recht. Bei einem spannte er sogar die Wahrscheinlichkeitstheorie ein, die er mit erfunden hatte. Sein Argument ging folgendermaßen: Jeder Mensch kann entscheiden, ob er gottesfürchtig leben will oder nicht. Entscheidet er sich dagegen, kann er zu Lebzeiten in allen möglichen Genüssen schwelgen – danach hat er aber keine Chance mehr auf ewige Seligkeit im Himmel. Lebt er hingegen gottgefällig, entgehen ihm zwar Genüsse wie doppelte Portionen Schlagsahne oder Orgien, dafür hat er danach eine Chance auf ewige Glückseligkeit – wenn es denn einen Gott gibt. Pascal argumentierte nun, der erwartete Gewinn aus einem
winzigen Menschenleben voller Ausschweifungen verblasse völlig angesichts der Aussicht, in den Himmel zu kommen, auch wenn die Chance dafür, dass es Gott überhaupt gibt, winzig klein wäre. Pascal zufolge müsste jeder, der die Gesetze der Wahrscheinlichkeitstheorie für gültig hält, sich für ein gottgefälliges Leben entscheiden.
Übrigens: Falls Sie sich schon dazu gratulieren wollen, die richtige Wahl getroffen zu haben, sollten Sie beachten, dass es nicht genügt, einmal im Jahr zur Christmette zu gehen und schon reichlich angeschickert Weihnachtslieder zu singen. So einfach kommt man nicht an Petrus vorbei.
9 Das Gesetz der großen Zahl
Die Wahrscheinlichkeitstheorie kann nicht mit Sicherheit voraussagen, was passieren wird, sondern nur, was wahrscheinlich passieren wird. Und das ist nicht so schlecht. Wie der britische Philosoph John Locke (1632–1704), der Verfasser des monumentalen Werks Versuch über den menschlichen Verstand schrieb: »Gott hat uns für den größten Teil unserer Angelegenheiten, wenn ich es so ausdrücken darf, nur das Dämmerlicht der Wahrscheinlichkeit gegeben; dies entspricht vermutlich dem Zustand der Mittelmäßigkeit und der Prüfung, in den sein Ratschluss uns hier versetzt hat.« 15 Bis jetzt haben wir die Wahrscheinlichkeitstheorie hauptsächlich im Zusammenhang mit Spielen verschiedener Art betrachtet. Sie haben Ihre kleine Schwester beim Monopoly besiegt. Sie haben in Vegas abgeräumt. Und Sie haben beim Black Jack geschummelt. Doch, wie Locke schon sagte: Wahrscheinlichkeit gehört zum täglichen Leben. Es wäre enorm nützlich, wenn wir die Stochastik auf Situationen anwenden könnten, in denen es nicht um Wür – fel oder Karten geht.
Hier bekommen wir aber ein kleines Problem. Wie schon zuvor erläutert, lässt sich die Wahrscheinlichkeitstheorie deswegen so gut in Spielen anwenden, weil dort ganz klare und für alle Mitspieler gültige Regeln gelten. Die Leute würden sich nicht auf Spiele einlassen, wenn sie nicht eine ebenso gute Chance zu gewinnen hätten wie alle anderen auch. Sie würden nicht Backgammon spielen, wenn sie wüssten, dass ihre Würfel gezinkt sind und immer nur Einsen und Zweien zeigen werden.
Was wiederum bedeutet, dass die Zahl der Situationen, in denen man tatsächlich die Wahrscheinlichkeit für ein zukünftiges Ereignis angeben kann, sehr begrenzt ist. Über die Wahrscheinlichkeit, eine ungerade Zahl zu würfeln, kann man eine ziemlich genaue Angabe machen (wobei selbst diese Aussage von etlichen Annahmen ausgeht, wie etwa der, dass der Würfel perfekt symmetrisch ist). Im wirklichen Leben sind die meisten Situationen zu komplex, als dass man sie auf diese Weise analysieren könnte. Wir haben bereits gesehen, dass man unmöglich sagen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Handlung zu einer erhofften Konsequenz führt. Vermutlich wäre das Leben sogar ziemlich deprimierend, wenn man das könnte. Das Leben würde seiner Überraschungen beraubt, wenn man sicher wüsste, dass man mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit an diesem Abend beim Bowlen den Partner fürs Leben kennenlernen wird. Es gäbe den atemlosen Moment des Erkennens nicht mehr, keine imaginären Streicher im Hintergrund, kein wildes Pochen des Herzens.
Wenn Stochastik aber nur Zockern etwas brächte, wäre sie nicht besonders nützlich. Glücklicherweise gab Jacob Bernoulli nicht so schnell auf. Der 1654 in der Schweiz geborene Bernoulli war einer der führenden Mathematiker seiner Zeit und gehörte zu den ersten, die versuchten, die von Leibniz gerade erfundene Differenzialrechnung zu verstehen. (Heutzutage lernt sie jeder Gymnasiast, auch wenn die meisten gar nicht erst so tun, als verstünden sie die Theorie dahinter.) Jacob Bernoulli pflegte eine lebenslange Rivalität mit seinem gleichermaßen talentierten Bruder Johann. Dem
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