Liebe oder so
Miniwohnung an. Das letzte Mal war ich vor gut fünf Monaten dort gewesen, aber ich hätte schwören können, dass es noch genauso aussah wie damals. Kein Wunder, dass er erstmal bei mir abstieg, ich an seiner Stelle hätte das Gleiche getan.
„Hast du alles, was du brauchst?“, fragte ich ihn und ließ die Läden runter. Ich wohne im Erdgeschoss, da fallen von der Straße aus gesehen zwei Typen ganz besonders ins Auge, die in Unterwäsche und Handtuch mitten in einem hell erleuchteten Wohnzimmer stehen.
„Hm? Ja, danke“, murmelte er.
„Ist was?“
Er ließ sich auf die Gästecouch fallen und winkte ab.
„Was ist los, he?“
„Ich weiß auch nicht, mir geht so einiges durch den Kopf“, meinte er, „wahrscheinlich die Zeitverschiebung.“
„Wenn du meinst...“
„Ja, das wird’s sein.“
„Hey, schlaf erst mal ne Runde“, sagte ich, „morgen sieht alles schon wieder anders aus.“
Ich hasse solche Sprüche, aber ich war müde und fror in dem Handtuch, das ich mir um die Hüften geknotet hatte. Christian schwieg, und ich wollte mich schon zum Gehen wenden, als er sagte:
„ Siehst du Caro noch oft?“
„Aha, darum geht’s also .“
„Na ja... ja, auch.“
„So schlimm?“, fragte ich.
„Ach woher“, sagte er, „ ich werd bloß ein bisschen sentimental, wenn ich nach Hause komme, das hab ich öfter. Geht aber von selbst wieder vorbei.“
„Sicher?“
„Ganz sicher“, meinte er.
„Okay.“ Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Sie ist grad dieser Tage aus dem Urlaub zurückg ekommen. Ruf sie doch einfach morgen früh mal an.“
„Ja, vielleicht.“
„Sie wird sich freuen, glaub mir.“
„Jaja, hau schon ab .“ Er sagte es mit einem ironischen Unterton, aber ich machte mir ein bisschen Sorgen um ihn. So hatte ich ihn noch nie gesehen.
6
„Hallo?“
„ Alex, hier ist Ludwig.“
„Oh, hallo.“
„Ich wollte mal hören, was du so treibst.“
Ich wusste nicht wieso, aber Sonjas Eltern hatten aus irgendwelchen Gründen einen Narren an mir gefressen. Umgekehrt mochte sie aber auch sehr gerne, und wenn ich jetzt so darüber nachdachte, hatten sie mich schon immer viel besser verstanden als Sonja selbst.
Ludwig war früher Ministerialbeamter gewesen und vom Rheuma am Schreibtisch erwischt worden, während seine Kumpel sich beim Straßenbau oder als Dachdecker krumme Rücken und schwielige Hände geholt hatten. Ein Umstand, der ihr Mitleid mit ihm in Grenzen hielt. Ich wusste, dass sie ihn hinter seinem Rücken nicht ganz ernst nahmen.
Sie alle verbrachten die meiste Zeit ihres Ruhestands in Baumärkten, immer auf der Suche nach irgendwelchem Material oder Werkzeug, diese Philosophie musste man nicht unbedingt verstehen. Es war das Pendant zu ihrer Stammkneipe, und da ihre Frauen ihnen das Trinken untersagten, musste halt jeden Samstagmorgen die Abteilung für Holzzuschnitt als Treffpunkt herhalten. Manchmal schauten sie bei mir vorbei, aber der Baumarkt, in dem ich arbeitete, war ziemlich teuer, und so bekam ich sie nur selten zu Gesicht.
„Aha. Na ja, ich lebe noch, das ist die Hauptsache. Und selbst?“
„Du weißt ja, man wird nicht jünger. Und wenn man sich noch halbwegs für gesund hält, reden einem die Ärzte das schon wieder aus. Meiner will mich im Frühjahr sogar in die Reha schicken.“
„Tja“, sagte ich, denn was Passenderes fiel mir nicht ein. „Was gibt’s denn, du rufst doch sicher nicht nur an, um mit mir über deine Bandscheiben zu reden?“
„Das Hüftgelenk“, verbesserte er mich, „ich soll wegen meines Hüftgelenks hin. Aber ich wollte dich was fr agen. Du kannst gerne nein sagen, ich wär dir nicht böse…“
„Sag schon, worum geht’s?“, unterbrach ich ihn.
„Ich weiß nicht, ob ich dich das fragen sollte, immerhin seid ihr ja nicht mehr zusammen, Sonja und du... Ich hab mit Helene darüber geredet, und sie meinte, es sei vielleicht keine so gute Idee...“
„Was?“
„Na ja, wie soll ich sagen…? Es geht um meine Winterreifen…“
„Deine Reifen? Soll ich sie dir aufziehen?“, fragte ich.
„Tja... ja, wenn... Ich meine, du musst nicht, ich könnte das gut verstehen...“
„Hör mal, hab ich schon mal nein gesagt, wenn du mich um was gebeten hast?“
„Nein...“
„Na also. Ich kann aber erst am Wochenende. Wenn es dir eilt, müsstest du meinen Nachfolger fragen.“
Sonja hatte schnell eine Wohnung gefunden und, wie ich v on Carolin erfahren hatte, inzwischen auch einen neuen Freund. Damit war zu
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