Liebe oder so
ich brauch ihn erst morgen wieder. Wirf den Schlüssel einfach in den Briefkasten.“
Es wurde eine lange Nacht. Nachdem Ludwig uns keine Antwort gab, begann auch ich mir ernsthaft Sorgen um ihn zu machen. Andererseits hätte ich mich auch gewundert, wenn er mir das Garagentor freiwillig geöffnet hätte.
Die Garage war ans Haus von Sonjas Eltern angebaut und von innen über eine Tür zu erreichen, die aus Brandschutzgründen eigentlich aus Stahl hätte bestehen müssen. Ludwig hatte die feuerfeste Tür jedoch anderweitig benötigt und durch ein billiges Modell aus Holz ersetzt, was mir das Aufbrechen erleichterte.
Ich zog meinen Schal und den Norwegerpulli aus, der meine verliehene Jacke nur bedingt zu ersetzen vermochte. Zunächst versuchte ich es am Schloss selbst, das sich jedoch als erstaunlich massiv herausstellte. Massiver jedenfalls als das Türblatt, das ich mit Hilfe der Axt aus Ludwigs Hobbykeller mit wenigen Schlägen zerlegte.
„Bleibt ihr am besten hier, ich geh erstmal alleine rein“, sagte ich zu Helene und deren Schwester, die nur ein paar Häuser weiter wohnte und inzwischen erfahren hatte, was los war.
Ludwig saß auf dem Rücksitz seines Wagens. Er hatte die Zündung eingeschaltet und das Seitenfenster heruntergekurbelt, den Motor aber nicht gestartet.
„Hey, ich bin’s“, sagte ich und trat näher, „darf ich?“
Er antwortete nicht, also öffnete ich die Tür und nahm neben ihm Platz. Eine ganze Weile saßen wir so nebeneinander, und ich nahm mir vor, es mir nicht zur Gewohnheit werden zu lassen, andere Menschen zu trösten, ehe ich nicht selbst zu mehr innerer Ausgeglichenheit gefunden hatte. Irgendwann drehte sich Ludwig zu mir um.
„Und“, fragte ich, „was nun?“
Ludwig sah wieder weg.
„Was tust du denn eigentlich hier drinnen?“
„Ich weiß nicht“, meinte er müde.
Von Anfang an hatte ich ihn als offenen, herzlichen und aktiven Menschen kennen gelernt, sein erstes Austicken hatte mich damals schockiert. Aber diese Seite gehörte untrennbar zu ihm dazu, und obwohl es merkwürdig war, ihn so zu sehen, akzeptierte ich sie im Gegensatz zu seiner Frau inzwischen an ihm.
Wir verbrachten fast zwei Stunden da drin und sprachen kaum ein Wort, aber irgendwann nahm Ludwig meine Hand. Und da er sich weigerte, mit mir wieder auszusteigen, hielten wir halt Händchen auf dem Rücksitz seines Mercedes.
Einmal streckte Helene den Kopf zur Tür herein. Ich sagte ihr, wir seien noch nicht so weit, und schickte sie wieder ins Haus zurück.
Schließlich ließ Ludwig doch noch los. Ohne sich weiter um mich zu kümmern, stieg er aus dem Wagen aus und kletterte über die Trümmer der Holztür hinweg. Ich blieb noch eine Minute sitzen, schaltete dann die Zündung aus und drückte Helenes Schwester beim Rausgehen die Autoschlüssel in die Hand.
Im Woh nzimmer stieß ich auf Sonja und einen Kerl, den ich nicht kannte und der vermutlich ihre neue Flamme war.
„Hallo“, sagte sie verlegen und etwas erschrocken. Ihr Blick pendelte zwischen ihrem Freund und mir hin und her.
„Hallo“, antwortete ich.
„Ich bin Richard“, stellte sich der Typ vor und streckte mir demonstrativ seine Hand entgegen, als sei er der Herr des Hauses.
Ich schüttelte ihm formell die Hand. „Alex.“
Peinliche Sekunden der Stille verstrichen, ehe Helene hereinkam.
„Er ist oben und hat sich hingelegt“, klärte sie uns auf.
„Tja, ich will dann mal“, sagte ich und zwängte mich an den anderen vorbei.
„Bleib doch noch zum Essen“, bat Helene. Sie folgte mir in den Flur hinaus, wo mein Pulli hing.
„Ein andermal. Ich muss den Wagen noch zurückbri ngen.“
„ Alex.“ Sie hielt mich am Ärmel fest.
„Schon gut. Ich melde mich morgen bei dir, ja?“
„In Ordnung“, meinte sie.
Remy s Wagen war drei Nummern größer als meine eigene Karre, und wenn man den Schlüssel umdrehte, erstrahlte das ganze Cockpit in eisblauem Neon. Ich musste ihn unbedingt mal fragen, was er eigentlich beruflich so machte. Die Stereoanlage war vom Feinsten, sogar ein Navigationssystem gab es, ich spielte ein bisschen an den Knöpfen herum. Zu gerne hätte ich mich davon nach Hause lotsen lassen, aber ich wurde nicht so recht schlau aus dem Ding und kannte den Weg ja auch so.
Kaum bog ich um die nächste Ecke, war der Inne nraum schon mollig warm, so was erlebte ich mit meinem Auto nur im Hochsommer. Am liebsten wäre ich noch ein paar Stunden damit rumgekurvt, aber ich hatte Remy mein Wort gegeben und
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