Liebe oder so
Fingerkuppen gerne in Kauf, Everest-Besteigern amp utierte man für einen geringeren Kick ihre Zehen.
„Mein Lieblingsplatz.“ Ihr Gesicht nahm einen ve rsonnenen Ausdruck an.
Ich ließ meinem Blick Zeit, alles aufzunehmen. Sanft wel lte sich die Landschaft vor uns, in den Gräben lag noch etwas Schnee. Die Bäume reckten spindeldürre Äste in den Himmel, zwei Raben ließen sich in einiger Entfernung auf einem Hochspannungsmast nieder. Man konnte kilometerweit sehen und hatte das Gefühl, hier oben der Erdkrümmung mit bloßem Auge beikommen zu können.
„Schön hier“, sagte ich.
„Im Sommer komm ich oft hier raus.“
„Ja.“ Im Geiste sah ich die Wiesen und Felder vor mir und nahm all die kleinen Details wahr, die der Winter wegradiert hatte: Blumen, Geräusche, Schmetterlinge, Grüntöne…
„Wie, ja?“, fragte Marie.
„Ich kann’s mir vorstellen.“
Das schien sie zu belustigen. Als sie aufstehen wollte, hielt ich sie fest.
„Geh nicht mehr weg“, sagte ich.
Wieder dieses Lächeln, in dem Nähe und Liebe, aber auch Vorsicht und Unsicherheit lagen. Was ich darin nicht erkennen konnte, war Vertrauen. Vertrauen in mich. In ihre, meine, unsere Zukunft, und sei sie auch noch so nah. Etwas fehlte, und ich wusste, sie war noch nicht so weit. Nicht über diesen Tag hinaus.
Wir hatten unseren Platz im Leben des anderen noch nicht gefunden. Für heute waren wir angekommen und so was ähnliches wie glücklich, aber morgen würde alles wieder anders aussehen. So deutlich, wie ich eben noch die Landschaft im Sommer vor mir gesehen hatte, standen mir jetzt die ganzen schlaflosen Nächte vor Augen, die ich wegen ihr noch durchzustehen hatte.
Irgendwas in mir krampfte sich zusammen. Aber sie gab sich Mühe, lächelte mich tapfer an und nahm meine Hand. Das war ein Anfang, und keiner von uns verlor noch ein Wort darüber.
37
Es kam alles anders, denn nur eine Woche später zog sie bei mir ein. Carolin und ich machten große Augen, als sie mit ihrem Kram vor der Tür stand, wortlos schleppte sie ihn an unserer Nase vorbei ins Schlafzimmer. Von Caro erfuhr ich Tage später, dass sie sich schon seit einiger Zeit mit Jochen zerstritten und nun den Schlussstrich gezogen hatte. Mit mir wollte sie nicht darüber reden, das Thema war tabu.
Marie hatte eine Reihe kleiner Jobs angenommen, mit denen sie angeblich ihren Lebensunterhalt und das Studium bestritt. Ein Bekannter stellte sie hinter die Bar seines Fitnessstudios, sie klemmte auf Parkplätzen Werbezettel unter Scheibenwischer und nahm im Pizzaservice eines anderen Bekannten zweimal die Woche Anrufe entgegen, so was halt. Wer ihr sonst noch etwas zusteckte, wusste ich nicht, aber ich hatte nicht vor, ihr deswegen eine Szene zu machen.
Carolin hatte einigermaßen unter dem Zustand zu leiden, in dem wir uns befanden. Sie hielt nach einer eigenen kleinen Wohnung Ausschau, aber die Bruchbuden, die wir uns ansahen, fielen entweder durch den Zustand oder den Mietpreis aus dem Rennen, sie tat mir echt leid. Eine Wohngemeinschaft mit einem frisch verliebten Pärchen war so ziemlich das Übelste, was es gab. Ich weiß, wovon ich rede, ich hatte kurzzeitig mal bei Jörg gewohnt, nachdem man mir wegen Eigenbedarfs meine Wohnung gekündigt hatte. Er und Jenny hatten sich mal wieder miteinander versöhnt, und in dieser Zeit kriegte ich kein Auge zu.
Caros eigenes Liebesleben driftete immer mehr ins Chaos ab. Neben Armin, der täglich bei uns anrief, hatte inzwischen auch dieser Oliver deutlich Interesse angemeldet. Und dann gab es da noch einen Unbekannten, über den sie einiges andeutete, ohne Namen zu nennen oder auf konkrete Fragen von mir einzugehen. Ich vermutete, dass Marie Bescheid wusste, aber da die beiden sich untereinander absolut loyal verhielten, schien ich plötzlich der Außenseiter in dieser Wohnung zu sein.
Die Spannungen, die innerhalb weniger Wochen entstanden, gingen nicht von mir aus, allerdings litten die Mädchen offenbar an einer massiven Wahrnehmungsstörung. Jedenfalls schoben sie die Schuld an der miesen Stimmung fast immer auf mich und die angebliche Tatsache, dass ich geradezu eine Manie dafür entwickelt habe, alles über sie zu erfahren.
„Wie bitte?“, fragte ich Carolin in einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung, ehe mir aufging, dass das keineswegs als Scherz gemeint war.
„Es stimmt“, pflichtete Marie bei, „du gibst dich nie zufrieden mit dem, was man dir sagt, ganz egal, was oder wie viel es ist.“
„
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