Liebe oder so
Moment mal, von Quantität wollen wir lieber erst gar nicht anfangen“, sagte ich. „Ihr erzählt mir ja praktisch gar nichts mehr. Ich versteh euch nicht, hab ich euch was getan?“
Ich sprach mit Christian darüber, als ich ihn am Wochenende vom Flughafen abholte. Er war der Ansicht, ich solle die Finger von Dingen lassen, die ich nicht verstünde. Damit meinte er wohl die Komplexität der weiblichen Psyche, und unter anderen Umständen hätte ich ihm sogar zugestimmt.
„Ich wüsste nur gerne, wo ich dran bin“, wandte ich ein. „Die ganze Zeit über ha b ich geglaubt, es läge an der räumlichen Distanz zwischen Marie und mir, dass ich nicht kapiere, wie sie tickt. Und jetzt, wo ich sie tagtäglich um mich herum hab, ist sie mir fremder als vorher.“
„Hast du nicht gesagt, es läuft gut zwischen euch?“
„Na ja, in manchen Dingen schon.“ Die letzte Nacht kam mir in den Sinn. Marie war mit einem sexuellen Appetit über mich hergefallen, als ginge die Welt eine Stunde später unter. Die aber war auch morgens noch vorhanden, und ich schleppte mich todmüde durch den Tag.
Chris guckte mich belustigt vom Beifahrersitz aus an. Anscheinend las er gerade meine Gedanken.
„Was?“ , fragte ich.
„Es gab mal ne Zeit, da war genau das das einzig Wahre in deiner Philosophie.“
„Kann sein. Ist es ja auch – eigentlich. Aber wenn du das Gefühl hast, da ist noch viel mehr, was sie nicht mit dir teilen will, dass sie Geheimnisse vor dir hat, vie lleicht auch Probleme, über die sie nicht mit dir reden möchte, das macht dich total fertig, kannst du mir folgen?“
Christian stöhnte leise und ließ den Kopf gegen die Seitenscheibe fallen.
„ Im Prinzip schon, aber jetzt gerade nicht. Hör mal, ich hab grad nen ziemlich unruhigen Flug hinter mir, können wir vielleicht später darüber reden?“
Ich musterte ihn unauffällig, er sah tatsächlich ziemlich mitgenommen aus.
„Aber du musst nicht kotzen, oder?“
„Nicht, wenn du die Augen auf der Straße lässt.“
„Schön.“
Ich kurbelte das Fenster runter und ließ ein bisschen Frischluft für ihn herein. Der defekte Auspuff gab infernalische Geräusche von sich, er würde sich gedulden müssen, bis das Geld vom Amt, pardon, von der Agentur eintraf. Inzwischen hatte ich eine weitere Reparatur hinter mir, der neue Anlasser hatte mein Konto in die roten Zahlen getrieben. Dazu kam, dass ich gleich zwei Mädchen bei mir beherbergte, die mich ständig irgendwohin verschleppten, Diskotheken, Bars, Clubs, Kinos, den Zirkus, was weiß ich. Die Sache lief meist so ab, dass die beiden am Türsteher vorbei flitzten und mich zahlen ließen.
Das hatte nichts mit Berechnung zu tun, sie waren ei nfach heiß darauf, sich zu vergnügen, der Kleinkram interessierte sie nicht. Wir rauschten durch die Nächte, rasten kreuz und quer durch die Stadt, das war Maries Rhythmus, sie kannte jeden Türsteher und jeden Barmann, und immer tauchten wir zum richtigen Zeitpunkt auf, wenn es spannend wurde.
Ich streckte den Kopf zum Fenster raus und kniff die Augen in dem schneidend kalten Fahrtwind zusa mmen. Reif lag über den Wiesen und Vorgärten all der braven Menschen, die es sich gerade in ihren überheizten Wohnzimmern gemütlich machten und wie jeden Abend über die schlechten Nachrichten aus aller Welt erschraken.
„ Alex?“
„Ja?“
„Meinst du, es wäre zu viel verlangt, das Fenster zu schließen und wieder reinzukommen?“
Ich kurbelte die Scheibe wieder nach oben.
„Sag mal, du bist heute irgendwie so… hyperaktiv“, stellte Christian fest.
„Hyperaktiv?“
„Ja. Du machst mich nervös.“
Wieder sah ich ihn mir genau an. Er schien abgeno mmen zu haben und war ein bisschen bleich um die Nase. Keine Ahnung, was die da drüben mit ihm anstellten. Ich persönlich hatte so meine Vorbehalte gegen Gottes eigenes Land, in dem man mit Rauch-, Trink-, Kuss- und allen möglichen anderen Verboten nach und nach auch dem kleinsten Spaß einen Riegel vorschob. Christian hielt sich schon viel zu lange dort auf, es wurde allmählich Zeit für ihn, wieder unter Menschen zu kommen.
Er wollte unbedingt noch ein bisschen in der Gegend h erumfahren, bevor ich ihn bei seinen Eltern absetzte. Ich hätte ihm gerne meine Gästecouch angeboten, aber das hätte bloß Ärger mit Carolin gegeben, die mein Wohnzimmer inzwischen dauerhaft okkupiert und mit allerlei Kleinigkeiten aus ihrem persönlichen Besitz geschmückt hatte. Sie machte sich inzwischen schon gar nicht
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