Liebe stand nicht auf dem Plan
Kann ich so gehen?«
»Wo willst du denn hin?« Yolanda ist verwirrt. Da steht ihre Tochter in der ältesten Jeans und mit dem verwaschensten T-Shirt vor ihr. Es war mal blau, die aufgedruckte Banane war mal gelb, jetzt ist sie grünlich und das T-Shirt gräulich bis bläulich. Dafür hat sie all ihre Klamotten über den Haufen geschmissen, anprobiert, verworfen?
»Und?« Fordernde Frage, große Augen.
»Gehen? Wer so schön ist wie du, kann fliegen, mein Engel. Aber wohin? Gehst du nicht putzen?«
»Doch.« Nora strahlt.
»Die Jeans ist ein bisschen zu kurz.«
»Was?« Zwanzig Millisekunden blankes Entsetzen gehen nahtlos in dreißig Millisekunden aufkeimenden Triumph über. »Ich bin gewachsen!«
Yolanda kniet vor Nora und zieht den Hosensaum nach unten. Cirka zehn Zentimeter darüber befindet sich der teilweise löchrige, ausgebleichte Rand von vor nicht langer Zeit, als die Hose noch zu lang war. »Du bist zu dünn.«
»Was?« Reines Entsetzen geht in Erkenntnis über. »Ich bin mitten in einer Wachstumsphase, im Streckenwachstum. Danach kommt das Breitenwachstum. Außerdem ist das ne Boyfriend-Jeans. Die schlottern einem immer um die Beine.«
Nora macht eine Kniebeuge und gibt ihrer Mutter einen Kuss auf die Nase. »Kann ich heute mal länger wegbleiben?«
»Bloß wenn dich zwei Leute nach Hause begleiten. Wenn es Ärger gibt, rennt immer einer weg …«
Von der Schlägerei vorm Club hat sie also nichts mitgekriegt, denkt Nora, und sagt schnell: »Schon gut, ich kenn deine Theorie. Du weißt, dass ich um elf keine zwei Bodyguards auftreiben kann. Für die andern geht die Party da erst los.«
»Dann sehen wir uns zur üblichen Zeit. Ich freu mich schon auf dich«, grinst Yolanda.
Keine Zeit für Protest. Nora muss los. Sie hat was vor.
0171-746805 is the magic number.
Noras Daumen zittert über der Anruftaste. Soll ich, soll ich nicht? Was soll ich sagen? Mach schon! Sie starrt in die Art-Shirt-Auslage. Wenn ich mich traue, kauf ich mir ’n Shirt zur Belohnung,
nimmt sie sich vor und holt tief Luft, räuspert sich, krächzt leise »hallo« zur Probe und lässt es klingeln. Es klingelt. Keine Mailbox. Das ist gut. Luft holen. Warten.
Keath geht nicht ran. Das ist nicht gut. Nora lässt ihren gepressten Atem entweichen. Kein Gespräch mit Keath, kein verdammtes T-Shirt. Sie steckt ihr Handy weg. Wenn er ihre Nummer eingegeben und ihren Namen gesehen hat, dann heißt das, er will nicht mit ihr reden. Aber warum? Dafür hat er doch keinen Grund. War ich peinlich oder irgendwie blöd?, fragt sie sich und schließt ihr Rad auf. Was soll ich denn jetzt machen?
Sie fährt einen Bogen um die blödelnden DreckBusters herum. Die Jungs sind aus dem Jugendclub und machen in wilden Aktionen im Viertel die Gehwege und Grünstreifen sauber. Für die meisten ist es Pflichtprogramm, weil sie einem Sozialarbeiter auf die Nerven gegangen sind. Der Rest hat einfach keinen Bock auf den Abfall, den die Leute, die nicht hier wohnen, in die Ecken schmeißen, wenn sie aufm Kiez die Sau rauslassen, bevor sie dann wieder heim in ihre sauberen Vorgarten-Randbezirke fahren.
»Ey Nora, komm schon, eine kleine Spende für müde Cleaner! «, brüllt Dave aus Noras Block. Seine Kumpels fordern lautstark mit. »Genau, lass was springen …«
Sie fischt einen USB-Stick mit Musik von Ugly & Brilliant aus der Jackentasche.
»Hast du Keath gesehen?«, fragt sie beiläufig.
»Im Übungsraum. Der trainiert.«
Aha. »Wer von euch ist über achtzehn?«
»Hä? Wir brauchen keine Aufsicht, Schwester.«
»Am Dienstag in einer Woche, also nicht kommenden Dienst …«
»Schon kapiert«, grinst Dave.
»… findet im Sound Club der erste Underage-Club statt. Ohne Aufsicht. Mehmet legt auf.«
»Keine Weiber über achtzehn?«, fragt der Kleinste der Gruppe. Ein Schneidezahn fehlt.
»Keine Weiber und keine Kerle. Gnadenlose Ausweiskontrolle, Volljährige haben keine Chance. Sieben Euro, von fünf bis neun zum …«
»Morgens?«, fragt der Kleine ungläubig. Die Antwort sind schmerzverzerrte Gesichter, Stöhnen und Kopfschütteln der anderen DreckBusters.
»Ihr seid eingeladen. Bringt eure Freundinnen mit.«
»Was ist mit Alkohol?«
»Geht’s nicht ohne?«, fragt Nora zurück.
»Also nicht?«
»Du bist auch so okay«, sagt sie und erntet neuerliches Gejohle.
Sie steigt in die Pedale, legt sich in Kurven, schanzt über Gehwege, schlingert über den sandigen Weg zum Jugendclub und bremst.
Vor dem Club liegen ein paar Mädchen
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